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Go West, Go Berlin!

Wie fühlt es sich an, wenn Senatsvertreter und Unternehmer in Szczecin für den Wirtschaftsstandort Berlin werben, dann aber Mühe haben, selbst den Weg in die „Hauptstadt der Chancen“ anzutreten?

von UWE RADA

Jacek Barełkowski reagiert als Erster. Der Chef der Vereinigung polnischer Kaufleute und Industrieller in Berlin greift zum Handy. „Irgendwas nicht in Ordnung?“ fragt Wolfram O. Martinsen, der Koordinator des Berliner Regierenden Bürgermeisters für Mittel- und Osteuropa. Solange Olszewska, eine der erfolgreichsten Berliner Unternehmerinnen polnischer Herkunft, blickt ungläubig in die Runde. Nur Peter Straub von der Landesbank Berlin grinst, als ihm auf dem Bahnsteig vier des Hautbahnhofs von Stettin mitgeteilt wird, dass die Züge nach Angermünde ausfallen. Und mit ihnen die einzige Möglichkeit, per Bahn in die deutsche Hauptstadt zu kommen. „Go West, Go Berlin.“

Die Berliner Wirtschaft

Unter diesem Motto ging Berlin am 7. November in Szczecin auf eine Werbetour, die nur ein Ziel hat: polnische Unternehmer vom Standort Berlin zu überzeugen. „Das neue Berlin“, davon sollten die Polen überzeugt werden, „ist eine Stadt der Chancen.“

BAO Berlin, die Außenhandelsorganisation der Hauptstadt, hat deswegen weder Kosten noch Mühe gescheut. Angemietet wurde der große Konferenzssal im Hotel Radisson SAS, ein Werbepaket auf Polnisch wurde erstellt, und mitgebracht hat man verschiedene Referenten, darunter auch solche wie Solange Olszewska, solche, die es geschafft haben. Vom deutschen Zollrecht bis zu den Qualitätsanforderungen großer Unternehmen wie Siemens: Keine Frage blieb an diesem Vormittag offen, und BAO-Chef Jörg Schlegel beendete die Präsentation mit den Worten: „Kommen Sie nach Berlin. Wir laden Sie ein.“ Go West, Go Berlin.

Der Mann ist sichtlich nervös. „What is happening?“, fragt er. „Wir hängen hier fest“, lautet die Antwort. Natürlich, der Gentleman bleibt distinguiert. Seine Lage ist dennoch misslich: „Ich muss in Berlin noch den Flieger nach London erwischen“, sagt er.

Wolfram O. Martinsen kennt das Problem. Auch er hat ein Flugticket in der Tasche. Nur Reinhard Klein von der deutsch-polnischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft TWG weiß noch nichts von seinem Pech. Klein steht auf dem anderen Ende des Bahnsteigs vier und hält Ausschau. Umsonst. Kein Berlin. Nirgends.

Die polnische Wirtschaft

Natürlich, Pannen hat es auch gegeben an diesem Tag. Szczecin ist schließlich nicht Poznań, die von preußischem Geist beseelte Handelsstadt, die die Berliner Delegation am Vorabend besucht hatte. Einige Zeit lang blieben die Worte von Adrzej Durka, dem Vizemarschall der Wojewodschaft Westpommern, und von Wolfram O. Martinsen ungehört. Stromausfall im Radisson, keine Simultanübersetzung. Hinterher wurde herzlich über diese Panne gelacht. So ist sie eben, die polnische Wirtschaft. Das war noch vor der Durchsage auf dem Hauptbahnhof.

Dort, auf Bahnsteig vier, macht plötzlich die Rede von einem Gleisschaden die Runde, und zwar nicht bei der polnischen PKP, sondern bei der Deutschen Bahn AG. So ist sie, die deutsche Bahnwirtschaft. Auch der Morgenzug von Berlin-Lichtenberg nach Stettin hatte eine Stunde Verspätung, wegen eines Lokschadens. Es handelte sich auch hierbei um eine deutsche Lok.

Die Wirtschaft der Bahn

Go East, Go Szczecin: Bei der Bahn AG, die im Frühjahr die einzige Interregio-Verbindung nach Szczecin gestrichen hat, heißt das: „Nur 100 Kilometer von Berlin entfernt und ganz in der Nähe der Ostseeküste, lädt die alte Hansestadt an der Oder zu einem Tagesausflug ein. Mit der Bahn fahren sie bequem dorthin.“

Jetzt klingelt sein Handy. Jacek Barełkowski ist die letzte Hoffnung. Und tatsächlich, es klappt. „Wir fahren mit dem Bus“, verkündet der Berliner Unternehmer, als ob es das Selbstverständlichste der Welt wäre. Dem Engländer nimmt er die Fahrkarte ab und geht davon. Kurze Zeit später kommt Barełkowski zurück und drückt ihm das Fahrgeld in die Hand. „Sie fahren mit uns im Bus.“ Eine halbe Stunde später steht der Bus am Hauptbahnhof. Das ist Organisation.

Die Grenzwirtschaft

Jacek Barełkowski, dem Wolfram O. Martinsen anerkennend bescheinigt, einen hervorragenden Reiseleiter abzugeben, hat an alles gedacht: Bier, Wein, Sandwiches. Nur ein Problem gibt es noch: die Grenze. Die deutsch-polnische, die EU-Außengrenze. Keiner aus der Runde kann sagen, ob ein polnischer Bus mit deutschen Reisenden nach Deutschland fahren darf.

Er darf. Am Grenzübergang Kołbaskowo stellt es sich heraus. Etwa eine halbe Stunde hat es gedauert, bis die Grenzer, die deutschen, dies dem polnischen Fahrer mitgeteilt haben. Er darf aber nicht nur, er muss auch: nämlich zahlen. Exakt 13 Pfennig pro Person und gefahrenen Kilometer kostet das europäische Wegerecht. Wofür, das weiß keiner. „Für die Autobahn“, witzelt einer. Später, nach dem Grenzübertritt, auf der A 111 von Pomellen in Richtung Berliner Ring, wird ein anderer fragen. „Für welche Autobahn?“

Der Bus steht noch immer: Ein Grenzschützer betritt ihn, grüßt, sammelt die Pässe ein, geht wieder: „Die Pässe werden überprüft“, teilt er freundlich mit. Wolfram Martinsen schaut auf die Uhr. Der Engländer nimmt einen Schluck aus der Bierflasche, bleibt ansonsten aber stoisch ruhig.

Es hilft alles nichts. Eine Viertelstunde später betritt ein Zollbamter den Bus. Alles aussteigen, jeder nimmt sein Gepäck, Zollkontrolle, bei jedem Einzelnen. „Das darf doch nicht wahr sein“, sagt einer. Es ist keiner der polnischstämmigen Berliner, sondern Eberhard Diepgens Beauftragter in Sachen Osterweiterung der Berliner Wirtschaft. Andere fragen sich plötzlich, ob ein halbes Kilo Erdnüsse, ein Salatkopf sowie ein Blumenkohl unerlaubte Einfuhren aus dem nichteuropäischen Ausland darstellen.

„Das haben die alles nur gemacht, weil der Bus ein polnisches Nummernschild hat“, schimpft Wolfram O. Martinsen, als sich der Reisebus endlich in Richtung Berlin in Bewegung stezt. Jacek Barełkowski, der nach erfolgreichem Grenzübertritt noch eine Ladung Bier und Wein springen lässt, kann der ganzen Sache auch etwas Gutes abgewinnen. „Es ist lehrreich“, sagt er, „wenn die Senatsvertreter mal mitbekommen, welche Schikanen es an der deutsch-polnischen Grenze gibt.“

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