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Lonesome Cowboys in Kapitalistan

Mobil geknetet und mit Muskelkraft durchs Regierungsviertel: Zahlreiche Kleinselbstständige versuchen ihr Glück jenseits einer Festeinstellung. Solches Engagement wird vielerorts gefordert und gefördert – präzise Daten über Häufigkeit und Erfolg liegen bislang allerdings nicht vor

von VOLKER ENGELS

Früher war die Welt noch einfach und übersichtlich gestrickt: Es gab Arbeiter, Angestellte und Selbstständige. Die Erstgenannten streikten regelmäßig für ihre Gehaltserhöhung. Die meisten Selbstständigen mit mehreren Angestellten waren darauf in der Regel nicht angewiesen. Sie verdienten eh genug. Allenfalls ein paar mehr oder minder erfolgreiche Einzelunternehmer wie Taxifahrer oder Kneipenwirte arbeiteten allein und auf eigene Rechnung.

Die Vorteile dieses Einzelkampfes liegen scheinbar auf der Hand: Kein Chef, der einem allmorgendlich mit seiner miesen Laune den Tag versaut, kein Gehaltsstreifen, dessen größter Posten die Abzüge sind. „Selbstbestimmt und kreativ in die eigene Tasche wirtschaften“ heißt das Motto. Die Arbeitsämter sind angesichts dieses Engagements höchst erfreut und unterstützen Existenzgründer mit Schulungen und Förderprogrammen. Hauptsache, die Geschäftsidee stimmt, und die Kassen der Bundesanstalt für Arbeit werden entlastet.

Genaue Daten über die Anzahl neu gegründeter Solobetriebe stehen nicht zur Verfügung. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die über günstige Kredite den Mittelstand fördert, führt nach Angaben eines Sprechers „keine Statistik über Einmannbetriebe“.

Ähnliches gilt für die Industrie- und Handelskammern (IHK), die zwar in Konzept- und Grundlagenberatungen Starthilfe auch für Solisten anbieten, deren genaue Anzahl aber statistisch nicht aufbereiten. Auch den statistischen Landesämtern, wie etwa dem in Berlin, fehlen die Möglichkeiten, über die genaue Anzahl der neu gegründeten Einpersonenbetriebe präzise Angaben zu machen.

Als Maschinist an Bord eines Schiffs der DDR-Handelsflotte geht Jens Grabner bis 1992 auf große Fahrt. Ein Brief des Kreiswehrersatzamtes holte ihn ans Festland zurück. Entweder, hieß es dort, trete er umgehend seinen Dienst fürs Vaterland an, oder er bleibe bis zu seinem zweiunddreißigsten Lebensjahr außer Landes. Landgang wider Willen.

Nach seinem Zivildienst entschließt sich der Berliner, der sich „nur schwer ans Landleben gewöhnen kann“ und gerne „sein eigener Chef sein will“, in der Hauptstadt eine ungewöhnliche Geschäftsidee umzusetzen. Der heute 32-Jährige kauft in Köln eine Rikscha, um Touristen per Muskelkraft durch Berlins Mitte zu kutschieren. „Das Geschäft lief aber nur mäßig“, erzählt Grabner, „weil die Touristen die körperliche Arbeit anderer nicht direkt sehen wollten.“ Trotzdem erweitert er seinen Fuhrpark auf insgesamt 12 Räder mit Anhänger. Für 25 Mark pro Tag vermietet er seine Rikschas an andere Kleinselbstständige, die besonders mit Hochzeiten oder Kindergeburtstagen die ein oder andere Mark einnehmen. Dennoch läuft das Geschäft eher „schleppend“, wohl auch, weil er nicht der „knallharte Unternehmertyp“ ist, der seinen Umsatz um „jeden Preis machen will“.

Schließlich – die Firma ist mittlerweile in der Berliner Firma Velo-Taxi aufgegangen – schmeißt er den Job hin: „Ich war mehr als ein Angestellter, weil ich nächtelang durchgearbeitet habe“, blickt Grabner zurück. Später beginnt Grabner, sich mit der Kinobranche unter Jobaspekten auseinander zu setzen. Trotz bewilligter Fördermittel und eines ausgereiften Konzepts wird zunächst nichts aus dem geplanten eigenen Lichtspielhaus. Immerhin leitet er als Theaterchef ein großes Berliner Kino bis zu dessen Schließung. Heute sucht er nach einem geeigneten Objekt, um doch noch ein eigenes Haus zu eröffnen. Er könnte sich aber auch mit einer Anstellung im Kino oder Filmverleihgeschäft anfreunden.

Damit aus guten Ideen schließlich auch gute Einkommen werden, bieten auch die Industrie- und Handelskammern Seminare für Existenzgründer an. Die Start-ups werden dort in die Grundlagen von Buchführung, Konzepterstellung oder Steuerrecht eingeführt. Die „meisten Probleme“, teilt die IHK Würzburg mit, „gibt es beim Gründungswissen, beim Geld und den Geschäftsverbindungen“. Gerade in der Gründungsvorbereitung würden häufig „nicht gutzumachende Fehler gemacht“, die den späteren Geschäftserfolg in Frage stellen würden.

Neben dem „ökonomischen Druck“ war es vor allem das „Bedürfnis nach Unabhängigkeit“, das Norbert Moll auf die Idee eines mobilen Massagediensts brachte. Seit rund drei Monaten bietet der Inhaber von „Molls Mobile-Massagen“ (mit dem Kürzel „.de“ auch im Internet) seine Dienste in Berlin und dem Umland an. Für einen Pauschalpreis von 150 Mark reist der staatlich anerkannte Masseur, Physiotherapeut und Lymphdrainagetherapeut mit Massageliege oder Massagestuhl an und knetet Verspannte durch. Bei Wind und Wetter. Zu seinen Stammkunden zählen Schauspieler, Geschäftsleute und eine Firma aus der Multimediabranche. Ein Hotel, das ihn regelmäßig bucht, schätzt vor allem seine Fremdsprachenkenntnisse. Obwohl das Geschäft gut angelaufen ist und er mittlerweile die „Gewinnzone“ erreicht hat, ist dem 40-Jährigen klar, dass er „immer dranbleiben muss“, um langfristig seinen Erfolg zu gewährleisten. „Selbstständig“ heißt schließlich vor allem immer noch eines: selbst, und zwar ständig.

Infos zu Existenzgründerseminaren bieten unter anderem die Industrie- und Handelskammern: www.ihk.de

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