piwik no script img

„Eine Bereicherung des jüdischen Lebens“

Der Gründungspräsident des Abraham-Geiger-Kollegs, Rabbi Walter Jacob, meint, dass die jüdische Gemeinschaft längst gespalten ist. Die Rabbi-Ausbildung sei notwendig, weil die Zahl der Juden in Deutschland enorm gestiegen ist

taz: Rabbi Jacob, Sie sind Gründungspräsident des Abraham-Geiger-Kolleges: Glauben Sie, dass die Eröffnung des Kollegs die jüdische Gemeinschaft in Deutschland spalten könnte?

Walter Jacob: Das Kolleg wird sie nicht spalten. Denn sie ist schon gespalten, sie war immer gespalten: Von Anfang an, besonders in Berlin, gab es liberale Gemeinden und liberale Rabbiner.

Aber es ist klar, dass die Union der progressiven Juden, die vom Zentralrat oft als eine Konkurrenz wahrgenommen wird, dadurch gestärkt wird.

In den letzten Jahren wurde es etwas schwieriger für die liberalen Gemeinden, irgendetwas zu tun. Deshalb haben wir unsere eigene Union gegründet.

Glauben Sie, dass die Union der progressiven Juden sich tatsächlich zu einer Art Konkurrenz zum Zentralrat entwickelt?

Wir sehen uns nicht als Konkurrenz. Wir sehen uns als eine andere Gemeinschaft. Wir wollen mit dem Zentralrat zusammenarbeiten. Und wir werden auch bestimmt viel zusammen tun. Dadurch wird das jüdische Leben in Deutschland reicher.

Warum gab es bisher keine Rabbiner-Ausbildungsstätte in Deutschland?

Vor 1990 war die Zahl der Juden in Deutschland zu klein dazu. Damals gab es etwa 17.000 bis 18.000 Juden, die Rabbiner kamen aus dem Ausland – und das hat gereicht. Aber jetzt, mit beinahe 100.000 Juden und einer größeren Zahl in den Nachbarländern, ist es nötig, dass man Rabbiner hier ausbildet. Besonders auch darum, weil wir in den Vereinigten Staaten und in England nicht genug Rabbiner haben. Deshalb können wir nicht Rabbiner von dort hierher schicken.

Gibt es genug Gemeinden für liberale Rabbiner, wenn sie hier mit der Ausbildung fertig sind?

Bestimmt. Allein zu unserer Union gehört zwar nur eine ganz kleine Zahl von Gemeinden – 13 oder 14; aber andererseits gibt es da noch viele andere kleine Gruppen, die liberal sind und die langsam auf Gemeindegröße wachsen können. Und außerdem gibt es noch viele Gemeinden, die weder orthodox sind noch zu unserer Union gehören, die aber einen Rabbiner suchen. Derzeit gibt es in Deutschland etwa 40 Stellen, wo Rabbiner gesucht, aber keine gefunden werden.

Werden dann die liberalen Rabbiner aus Ihrem Kolleg von den orthodox geprägten Gemeinden und auch von den anderen orthodoxen Rabbinern anerkannt werden?

Das wird so sein. Schon vorher waren liberale Rabbiner im Rabbinerverband. Und so glaube ich, dass wir keine Schwierigkeiten damit haben werden. Unsere Rabbiner werden gut ausgebildet. Sie werden dasselbe lernen wie die orthodoxen Rabbiner und noch viel mehr: Auch eine akademische Ausbildung erhalten sie.

Wie lange wird die Einheitsgemeinde in Deutschland überleben?

Das weiß ich wirklich nicht. Die Einheitsgemeinde ist ein politischer Weg, damit sich die Juden politisch ausdrücken und mit den Regierenden reden können. Das hat wirklich sehr wenig mit dem religiösen Leben der Juden zu tun.

Werden die Gemeinden genug Geld haben, die Rabbiner zu bezahlen? Viele sind ja ganz überwiegend geprägt von den russischen Juden, die oft noch keine Jobs haben.

Die Gemeinden der „Union“ haben genug Geld, um Rabbiner einzustellen. Und die neuen Gemeinden wachsen. Vielleicht muss man sie zuerst unterstützen. Wir sind bereit, das zu tun. Andere, die Teil der Einheitsgemeinde sind, werden von dieser unterstützt. Ich glaube, dass ziemlich viele von ihnen auch dann unsere Rabbiner langsam annehmen. Es dauert doch fünf Jahre, bis ein Rabbiner ausgebildet ist – bis dahin wird sich viel geändert haben.

Glauben Sie, dass die von Ihnen ausgebildeten Rabbiner in diesem Land mit seiner schlimmen Vergangenheit bleiben wollen?

Die meisten der Rabbiner, die hier aufgewachsen sind und dann zu uns kommen, werden auch hier bleiben. Aber wir werden auch Rabbiner ausbilden, die aus dem Ausland kommen – aus den Niederlanden, der Schweiz, aus Österreich, aus Frankreich, aus Polen. Und hoffentlich werden diese Rabbiner dann auch in diese Länder zurückkehren und den Gemeinden dort helfen.

Sehen Sie die Möglichkeit, dass das liberale Judentum in Deutschland seine einst bedeutende Stellung innerhalb Europas, vielleicht sogar weltweit, wiedererlangt?

Hoffentlich ja. Daran arbeiten wir.

Interview: PHILIPP GESSLER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen