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Kanaken ohne Grund

Getto-Folklore statt Kanaxploitation-Manifest: Lars Beckers „Kanak Attack“ wendet einen Kampfbegriff zur Werbebotschaft

von DANIEL BAX

Das Ausmaß eines Scheiterns ist immer auch eine Frage der Fallhöhe. Bei „Kanak Attack“ war die ziemlich hoch. Der Titel suggeriert: Dies ist das filmische Manifest einer selbstbewussten Migranten-Bewegung. Doch das mit der Bewegung ist so eine Sache. Zwar formierte sich vor zwei Jahren, parallel zu den fortschreitenden Filmarbeiten, ein Kreis von politisch engagierten Migranten und Sympathisanten zum „Kanak Attack“-Netzwerk und machte von sich reden. Und nun, nach langer Sendepause, will sich „Kanak Attack“, das Projekt, im kommenden Jahr mit einer konzertierten Aktion wieder der Öffentlichkeit präsentieren. Doch die Wege des bundesweit verstreuten Vereins und des Schriftstellers Feridun Zaimoglu, einst Mitinitiator und zentraler Propagandist, haben sich inzwischen getrennt – offen ist, ob es überhaupt noch einmal zu einer Zusammenarbeit kommt.

„Kanak Attack“, der Film, erinnert nur noch im Titel an diese Verbindung. Er basiert auf dem Roman „Abschaum“ von Feridun Zaimoglu und erzählt in vermischten Episoden von den Leiden des jungen Ertan, eines Halbstarken und Kleinkriminellen im Bermudadreieck von Spielhalle, Bordell und Knast. Die einzelnen Geschichten kann man alle nachlesen in „Abschaum“, lakonisch und präzise niedergeschrieben von Feridun Zaimoglu, der auch das Drehbuch zum Film mitverfasst hat. Doch wo das Buch durch originalgetreue Gossensprache und pointierte Erzählweise glänzt, kommt der Film seltsam kraftlos daher. Vielleicht spricht das für die Kraft der Original-Geschichten, jedenfalls fällt die filmische Umsetzung im Vergleich deutlich ab: Nicht absurd genug gerät der im Vollrausch begangene Spielhallen-Überfall, nicht böse genug die Hamster-Story. Die größte Schwäche des Films ist aber ein Hauptdarsteller, dem die Ambivalenz der Buch-Figur völlig abgeht.

Ertan Ongun, der Ich-Erzähler aus „Abschaum“, ist kein positiver Held, kein Sympathieträger: Er klaut alten Omas die Handtasche, wo man Luk Piyes, der ihn in „Kanak Attack“ darstellen will, allenfalls zutraut, ihnen über die Straße zu helfen. Piyes hat mal einen Model-Wettbewerb gewonnen, und offenbar schielten die Macher von „Kanak Attack“ beim Casting auf das zarte Aussehen in der Hoffnung, damit Pluspunkte zu machen beim weiblichen Publikum. Als Kanake without a cause wirkt Pyes allerdings keine Sekunde glaubwürdig. Aber was soll man auch von einem Schauspieler halten, der sich Luk nennt, weil das weniger nach Türke klingt als Haluk? Jedenfalls erweist er sich als denkbar ungeeignet für die Rolle des unangepassten Arschlochs. Mit ausdruckslosem Gesicht stapft Piyes durch die Szenen, und wenn ihm ein Zuhälter „Kielverbot“ erteilt, wird er bloß eine Spur blasser: Ein Woyzeck ohne Wut, ein Loser ohne Leidenschaft, den seine beiden Filmfreunde Tyron Ricketts und der herrlich kaputte David Schneller deutlich überstrahlen.

Nicht dokumentieren, sondern stilisieren wollten Regisseur Lars Becker und sein Co-Autor Zaimoglu das Milieu, aus dem der wahre Ertan Ongun stammt. Zum Glück haben sie dabei keine falsche Getto-Romantik beschworen, aber ein bisschen mehr Biss hätte man ihnen schon zugetraut: Mehr „Sex & Drugs & Arabesk“, wie Zaimoglu im Interview mit dem Filmmagazin Filter nennt, was ein herrlich überzeichneter Kanaxploitation-Film hätte werden können.

In der gleichen Zeitschrift sagt Zaimoglu den wahren Satz: „Nicht der Kulturkreis schafft Parallelgesellschaften, sondern das Weniger oder Mehr an Geld, über das man verfügt.“ Davon aber erzählt „Kanak Attack“ nichts. Anders als in den französischen Migrantenfilmen, die ein wenig Pate gestanden haben dürften, von „Tee im Harem des Archimedes“ bis zu „Hass“, wirft „Kanak Attack“ keine gesellschaftlichen Fragen auf: Ertans Agonie wirkt weit gehend selbst verschuldet. Für Zuschauer, denen die Sitten der multhiethnischen Straße fremd sind, mag es interessant sein, dass sich junge Deutschtürken zur Begrüßung auf beide Wangen küssen, und auch die depressive Kieler Dönerbuden-Ödnis ist ganz gut getroffen. Aufklärung ist dann aber doch etwas anderes. Indem er sich zu sehr auf seine Gesten und Gerüche verlässt, bietet der Film letztlich nur Getto-Folklore, und etwas „Erkan & Stefan“-Quatsch für Wohlmeinende.

Das wird nicht verhindern, dass der Film in der ein oder anderen Besprechung mit der aktuellen „Leitkultur“-Debatte in Verbindung gebracht werden dürfte. Das legt nahe, die Frage jugendlicher Delinquenz, wie so oft, vor allem durch die ethnische Brille zu betrachten. Was aber macht einen Kanaken zum Kanaken? An einer Stelle deklamiert der Film-Ertan protzig den typischen Zaimoglu-Satz: „Unser Schweiß ist Kanake, unser Leben ist Kanake, unsere Goldketten sind Kanake. Unser ganzer Stil ist Kanake!“ Doch was den Trotz des Ausgegrenzten ausdrücken soll, der die Schmähung stolz ins Positive wendet, klingt aus dem Mund eines hübschen Nachwuchs-Models wie ein läppischer Werbeslogan. Kanake, so muss man folgern, ist heute zwar kein Schimpfwort mehr, aber inzwischen auch als emanzipatorischer Kampfbegriff unbrauchbar. Es ist reiner Selbstvermarktungs-Jargon.

„Kanak Attack“. Regie: Lars Becker. Mit: Luk Piyes, David Schneller, Tyron Ricketts. Deutschland 2000, 84 Min.

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