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Pattex und Probleme

von JENS KÖNIG und PATRIK SCHWARZ

Oh ja, das könnte sich der große Meister höchstselbst ausgedacht haben, eine kleine, fiese Geste des Kanzlers gegenüber zwei Grünen, die ihm in den letzten Tagen alles andere als Freude bereitetet haben. Ein Minister nach dem andern fährt am Dienstagabend am Kanzleramt vor, dort wo sich die Koalition zum Gipfel verabredet hat, dann folgen die Fraktionschefs der beiden Regierungsparteien – alle in dunklen, gepanzerten Limousinen. Als die leeren Wagen bereits wieder am Abfahren sind, hält plötzlich ein kleines Taxi vor der Regierungszentrale. Ihm entsteigen Renate Künast und Fritz Kuhn, die Parteichefs der Grünen.

Krisengipfel

Ohne die beiden hätte das Koalitionstreffen an diesem Abend ganz woanders stattgefunden, vor allem in ganz anderer Atmosphäre. Geplant war eine entspannte Runde im feinen Restaurant „Adermann“, stattdessen wurde es ein Krisengipfel im Kanzleramt. Schröder hatte vor allem mit Blick auf die grünen Parteivorsitzenden am Montag im SPD-Parteipräsidium geklagt, es gehe nicht an, dass sich die Grünen auf Kosten des Koalitionspartners profilierten. Und wer sich gerade in diesem Moment an frühere Worte Schröders Richtung Grüne erinnert, besonders die vom Koch und vom Kellner, der kann an den jüngsten Äußerungen ablesen, dass ausnahmsweise mal der Kellner dem Koch in die Suppe gespuckt hat. Der Koch war sauer. Da dürfte es ganz nach dem Geschmack des Kanzlers gewesen sein, dass Künast und Kuhn im Taxi bei ihm vorfahren mussten.

Aber vielleicht waren die beiden Grünen dem Kanzler in diesem Moment schon fast wieder egal? Schließlich war der Konflikt in der Koalition bereits Montagnacht und am Morgen danach entschärft worden, und zwar in einer Weise, die beide Regierungsparteien hinterher von einem Erfolg sprechen ließ. Schröder plagte schon wieder eine ganz andere Sorge: sein Verkehrsminister Reinhard Klimmt. Wenige Stunden zuvor hatte der Bundeskanzler und Parteivorsitzende nur mit Mühe verhindern können, dass die SPD-Fraktion offen Klimmts Kopf forderte. Nach Absprache mit Schröder hatte Fraktionschef Struck von Klimmt gefordert, dieser müsse vor Gericht seine Unschuld beweisen. Dies setzt den Minister und mit ihm die Koalition einer Prozedur monatelanger Prozesse aus, womöglich über mehrere Instanzen.

Diese Rettungsaktion ist also gewagt für alle Beteiligten. So gewagt, dass auch am Morgen nach der Koalitionsrunde alles andere als klar ist, ob sie letztlich gelingen würde. So gewagt auch, dass der Verdacht aufkommen konnte, die SPD-Spitze hoffe in Wahrheit, der Minister möge ihren Ratschlag lieber nicht zu wörtlich nehmen und von sich aus zurücktreten. Strucks Worte waren ungefähr so aufmunternd gewesen wie die Einladung eines antiken Zirkusbetreibers an die Gladiatoren, sich den Löwen zu stellen: Klimmt solle „kämpfen, um seine Unschuld zu beweisen“. Egal wie es gemeint war, Reinhard Klimmt wird in die Arena steigen. Das lässt er am Mittwochmorgen verkünden. Und so kann man den Rest des Tages verfolgen, wie eine ganze Regierung sich zu rhetorischen Kunststücken aufschwingt, mit denen sie sich selbst für den Zirkus empfiehlt – als Akrobatik-Ensemble. Schließlich gilt es zu erklären, warum ein gestandener Minister sich am Montag für schuldig genug hält, um eine Strafe über 27.000 Mark zu akzeptieren, am Mittwoch aber weder von Schuld noch Strafe etwas wissen will.

Am ungerührtesten bewältigt diese Nummer ausgerechnet Hans Martin Bury, obwohl der 34-jährige Staatsminister im Kanzleramt als möglicher Nachfolger Klimmts gilt. Als der Verkehrsminister am Montag den Strafbefehl annehmen wollte, habe er gar keine Schuld eingestanden, erklärt Bury in der Fragestunde des Bundestages, insofern habe sich Klimmts Position nicht verändert. Im Übrigen verliest der Schröder-Intimus derart stur die offizielle Linie vom Blatt, dass Leonid Breschnew blass vor Neid geworden wäre: „Die Bundesregierung äußert sich grundsätzlich nicht zu laufenden Verfahren.“ Auch alle Nachfragen bleiben ergebnislos. „Es gibt keinen aktuellen Entscheidungsbedarf.“

Front des Verdrängens

Weniger kaltschnäuzig bleibt Fraktionschef Struck. Nachdem seine Erklärungen entlang der Bury-Linie die Frager nicht zufrieden stellen, bricht es aus ihm heraus: „Wir reden hier über einen Menschen, und Sie reden darüber, ob wir ihn abschießen! Das mache ich nicht! Und Schröder macht das auch nicht!“ Der Kanzler selbst lässt unter Journalisten streuen, er habe schon am Vorabend im Koalitionsausschuss die Grünen-Chefin Renate Künast gerüffelt. Sie hatte als erste Prominente aus dem Regierungslager die Front des Verdrängens gebrochen und erklärt, ein grüner Minister wäre in einer solchen Lage längst zurückgetreten. Mehr grüne Opposition ist freilich nicht zu erwarten, auch wenn die Partei gerne einen Aufstand der Anständigen hingelegt hätte. Nicht mal die Fraktionschefs Schlauch und Müller finden sich bereit, Künasts Satz zu wiederholen. So regiert an diesem Mittwoch die Verdrängung in Berlin. Ach ja, und was sagt Reinhard Klimmt? Lässt auf die Frage, ob er an seinem Stuhl klebe, verbreiten: „Das hat nichts mit Pattex zu tun, sondern mit Fairness und Gerechtigkeit.“

Um Fairness und Gerechtigkeit ging es Schröder auch im Koalitionsausschuss – allerdings um Fairness zwischen den beiden Regierungsparteien. Den Kanzler trieben die Sorgen mit dem grünen Koalitionspartner und ihrem neu erwachten Selbstbewusstsein um. Wie zu hören war, hat Schröder in der Runde mächtig Dampf abgelassen. Er sei verärgert gewesen über die Profilierungsversuche „einzelner Grüner“, wie er es nannte. Das kalkulierte Donnerwetter und die anschließende Diskussion der Klimafragen innerhalb der Koalition haben das Treffen dominiert. Bis nach halb elf Uhr soll es gedauert haben – fast zwei Stunden länger als geplant.

Joschka Fischer, der sich in den Tagen des Koalitionsstreits ebenso wie Schröder nicht ein einziges Mal öffentlich geäußert hat, verteidigte im Koalitionsausschuss die Haltung der Grünen. Er erinnerte den Kanzler daran, dass es die Eigenmächtigkeiten des Arbeits- und des Finanzministers waren, die eine harsche Reaktion der Grünen geradezu herausgefordert hatten.

Hinter solchen Pannen im Regierungsgeschäft steht ein grundlegender Konflikt zwischen den beiden Regierungsparteien, über den so offen an diesem Dienstagabend nicht geredet worden ist. Der Kanzler und seine Partei wollen den Bürgern erst einmal keine weiteren Reformen zumuten. Sie spüren die Verunsicherungen an der SPD-Basis, die Ängste bei ihren Wählern, den Druck der Gewerkschaften. Mit wem man auch redet bei den Sozialdemokraten, alle sprechen davon, dass man die Menschen mitnehmen müsse bei den Reformen. „Sicherheit im Wandel“ nennen sie das. Kein besonders griffiger Slogan, aber einer, der das Problem umreißt. Ausgerechnet in dieser Situation machen sich auf der Berliner Bühne zwei Grüne breit, die bislang keine Rolle gespielt haben: Renate Künast und Fritz Kuhn. Freundlich sind sie, haben Spaß an ihrer Arbeit, sind hellwach und professionell. Künast und Kuhn sind verantwortlich dafür, dass die Grünen zum ersten Mal in der Koalition angreifen – und das auch noch auf Gebieten, die die SPD als ihr ureigenstes Terrain ansieht: in der Sozial- und in der Gesundheitspolitik. So viel Eigenständigkeit übersteht nicht mal die rot-grüne Eintracht der letzten Monate. Die grünen Parteichefs wissen, dass kleine Taxis manchmal schneller sind als große Schlitten.

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