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Das missglückte US-Sahnehäubchen

Bei der amerikanischen Wahlberichterstattung ist anscheinend fast genauso viel falsch gelaufen wie bei der Wahl an sich. Dazu wurde der angebliche Wahlsieg Bushs auch noch von seinem Cousin ausgerufen, einem Journalisten des Senders Fox News

aus Washington PETER TAUTFEST

Was-wäre-wenn-Fragen gelten nicht, aber reizvoll sind sie: Was also wäre heute, wenn Fox News Bush in der Wahlnacht NICHT vorschnell zum Sieger der Präsidentenwahl ausgerufen hätte? Wenn die anderen Sender nicht nachgezogen, sondern erklärt hätten, der Sieger des Wahlkampfes sei nicht auszumachen? Dann würde man heute in Teilen Floridas immer noch zählen, das Bush-Lager müsste keinen angeblichen Wahlsieg verteidigen, und das Gore-Lager bräuchte nicht mit aller Kraft mögliche Stimmen aus den Wahlzetteln herauszukeltern.

Pikant wird diese Überlegung, weil es John Ellis war, ein Cousin der Gebrüder Bush, der die eingehenden Zahlen und Hochrechnungen zu der Prognose zusammenfasste und bekannt gab. John Ellis, Sohn von Nancy Ellis, einer Schwester des ehemaligen Präsidenten George Bush, war in der denkwürdigen Nacht Chef vom Dienst bei Fox News und für alle Entscheidungen verantwortlich. Wie Anfang der Woche das Magazin New Yorker in seiner Klatschkolumne erzählt, war Ellis ständig mit seinen Cousins in Austin im Gespräch, Washington Post und New York Times griffen die Geschichte gleich empört auf.

Die falschen Voraussagen darüber, welche Kandidat die wahlentscheidenden 25 Wahlmänner Floridas gewinnen würde, war aber gleichsam nur die verunglückte Sahnehaube auf dem reichlich missglückten Kuchen der Wahlkampfberichterstattung. „Was von dieser Wahlkampfberichterstattung in Erinnerung bleiben wird, ist natürlich die Wahlnacht“, sagt Robert Lichter vom Projekt Media Watch, „aber selbst wenn wir die Berichterstattung großartig fänden, wäre das, als sagte man von der Titanic, ihre Fahrt wäre wunderbar verlaufen, nur dieser Eisberg ...“ Das Projekt hat über Wochen und Monate alle Sendungen über den Wahlkampf ausgewertet: Wer glaubt, dass das Kopf-an-Kopf-Rennen für besonders gründliche, ausführliche oder gar aufklärende Berichterstattung gesorgt hätte, der irrt. Quantität und Qualität der Sendungen haben bei den drei großen Sendeanstalten ABC, CBS und NBC seit 1992 abgenommen. „Bekamen wir damals allabendlich noch 25 Minuten Nachrichten über den Wahlkampf – 8 Minuten pro Sender – so ist diese Zeit auf 12 Minuten gesunken – 4 Minuten pro Sender“, sagt Lichter. Kein Wunder, dass Bush und Gore zu Leno und Lettermann gingen: „Da bekamen sie an einem Stück mehr Redezeit als auf den anderen drei Sendern zusammengenommen im ganzen Monat Oktober.“

74 Prozent der Sendeminuten in den Wahlsendungen bestehen aus Journalistengesprächen, nur während 11 Prozent der Sendezeit kommen die Kandidaten selbst zu Wort. Rechnet man dann noch nach, wie viel Positives und Negatives über sie gesagt wird (die Journalisten äußern sich größtenteils abwertend), kommt man zu dem Ergebnis, dass sich bei der US-amerikanischen Wahlkampfberichterstattung „Talking Heads“ untereinander das Maul über die Kandidaten zerreißen. Den Hinweis auf die Kabelsender könne man ebenfalls nicht gelten lassen, denn die erreichten nur die etwa 2 Millionen Politjunkys, die anderen flimmern immerhin in 20 Millionen Kisten.

Ein besonderes Problem sieht der Medienwissenschaftler Ronald Nessen in der Zunahme und Konkurrenz der 24-Stunden-Nachrichten-Sender. Denn wirklich Neues gibt es nicht unbedingt 24 Stunden am Tag, darum zwingen sich die Sender selbst und gegenseitig zu einer Berichterstattung, die eher dem Sammeln von Nachrichten und journalistischer Vorarbeit gleicht. „Momentan erleben wir diesen Stoffsammlungsprozess live. Mit dem Journalismus ist es genauso wie beim Prozess der Gesetzgebung: er ist, wie das Wurstmachen, nicht sonderlich schön anzusehen“, sagt Nessen.

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