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Kulturkrieg im Armenhaus der Sahelzone

In Niger nehmen die Aktionen radikaler Islamisten zu, der Staat reagiert mit Härte. Intolerante Auslegungen des Islam mit viel saudi-arabischem Geld verdrängen allmählich die traditionelle Toleranz afrikanischer Religionspraxis

NIAMEY taz ■ „Sie sagen, sie träten für die Ehre der Frauen ein, und dann schlagen sie eine Frau tot!“, empört sich Fatima, die in einem Geschäft unweit des Petit Marché in Nigers Hauptstadt Niamey arbeitet. Dort kam es vergangene Woche zu blutigen Zusammenstößen zwischen Islamisten und der Polizei. Die Demonstranten forderten das Verbot eines afrikanischen Modefestivals und sagten, sie kämpften für die Ehre der Frau. Ihre Wut richtete sich gegen Bars, Lotteriestuben und Prostituierte. Sie erschlugen eine Serviererin aus Togo, eine andere prügelten sie krankenhausreif.

Noch brutaler wüteten die Islamisten in Maradi. Diese Stadt liegt 650 Kilometer von Niamey direkt an der Grenze zum großen Nachbarland Nigeria und gilt als das Zentrum von extremen islamischen Bewegungen in Niger, weil dort der Einfluss aus Nigeria am größten ist. In sieben Bundesstaaten Nordnigerias wurde Anfang dieses Jahres das islamische Recht „Scharia“ eingeführt, Prostitution und Alkohol wurden verboten. Seitdem rufen in Niger islamische Radiosender dazu auf, auch Niger müsse endlich „ausgefegt“ und „von allem Laster befreit“ werden.

Mit Härte ist Nigers Staatsmacht den Islamisten begegnet. Mehrere religiöse Vereinigungen wurden nach den Unruhen verboten. In der Bevölkerung wird das befürwortet. 99 Prozent der Nigrer sind Muslime, doch Fundamentalisten fanden bislang wenig Anhang.

Der westliche Einfluss auf die nigrische Gesellschaft ist gering. Selbst in der Hauptstadt wird das Stadtbild von traditioneller Bekleidung geprägt. Kaum eine Frau trägt europäische Mode, ein wirkliches Vergnügungsviertel gibt es in Niamey nicht. Der nigrische Islam ist eng mit traditionellen Gebräuchen verwoben, und im Vergleich zu Nigeria ist der Unterschied zwischen Moderaten und Radikalen bislang nicht ausgeprägt.

Doch Niger ist eine Gesellschaft im Wandel, und die Modernisierung fördert Konflikte. Adamou El Bakr, Professor für politische Philosophie an der Universität Niamey, hat in den letzten Jahren Veränderungen in der Glaubenspraxis in Niger erkennen können. Der Einfluss komme indirekt von außen: „Es sind die Koranlehrer, die im Ausland an islamischen Hochschulen studiert haben, die nach ihrer Rückkehr den Islam in Niger verändern wollen“, sagt er.

Auch der französische Soziologe Loïc Garçon stellt einen Wandel des nigrischen Islam fest. Es bestehe die Tendenz, sich in der praktischen Ausführung des Glaubens an die Praxis der arabischen Länder anzugleichen. Dabei würde die kulturelle Vielfalt des afrikanisch geprägten nigrischen Islam langsam wegfallen und damit auch seine Offenheit, befürchtet er. Gewohnheiten wie die Verschleierung der Frau würden übernommen.

Die Experten schätzen, dass radikale Islamisten in Zukunft weiter Zulauf erhalten. Das hängt mit der prekären wirtschaftlichen Lage des bettelarmen Sahelstaates zusammen. Ausgestattet mit finanzieller Hilfe aus Saudi-Arabien, können islamistische Vereinigungen soziale Leistungen liefern, wo der Staat versagt. Koranschulen bieten schon jetzt eine Alternative zum nicht funktionierenden öffentlichen Schulsystem.

Professor El Bakr hofft, dass die Politiker radikale Strömungen entschärfen, indem sie diese in den demokratischen Prozess einbinden. Fatima, der Geschäftsfrau vom Petit Marché, geht das allerdings viel zu weit. Sie fordert: „Verbieten sollte man alle islamistischen Gruppierungen!“ SANDRA VAN EDIG

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