: Quo vadis, Single?
Endlich wieder Revolutionäres aus dem Hause Opaschowski am Alsterufer: Wer allein lebt, geht öfter in die Kneipe ■ Von Peter Ahrens
Wir wissen nicht, ob Herr Opaschowski (Horst W.) ein glücklicher Mensch ist. Manchmal, abends jedenfalls, hat er grille Stunden. Dann sitzt er bei einem Glas Cabernet Sauvignon und einer Zigarette (Lord Extra) im Ohrensessel, alle gesellschaftlichen Trends sind so weit weg, einmal Freizeit statt Freizeitforschung, das British American Tobacco-Institut am Alsterufer, das ihn ansonsten tagsüber fortwährend auf Trab hält, hat sich in Rauch aufgelöst. Der Mann hat die Schnürsenkel seiner Schuhe gelockert, die vom vielen Hinterherrennen hinter energiestrotzenden Double Income No Kids und ihren Lebensgewohnheiten (Golfspielen, Einputten, Golfen) ganz eng geworden sind, lässt die Fußzehen spielen und denkt: Ach, schön, mal allein zu sein. Richtig selten, so etwas. Eigentlich, ja eigentlich gäbe das doch Stoff für eine gute Studie. Da komme ich doch mal wieder in die Medien. Ich glaube, ich nenne sie: „Mehr Betriebsamkeit als Einsamkeit. Ein Single bleibt selten allein.“
Endlich mal etwas, womit die Menschheit wieder wirklich etwas anfangen kann. Herr Opaschowski war schon so müde geworden. Klar, er hatte schon Wichtiges, Lebenswichtiges möglicherweise gar herausgefunden, obwohl er sich meist zierte, so etwas im öffentlichen Kreise anzusprechen. Er dachte nur an die Studie „Leben ist die Lust zu schaffen“ oder damals: „Surfer, Zapper, Lebenskünstler.“ Nicht zu vergessen die beinahe schon legendäre Untersuchung „Quo vadis, Sonntag?“ Er erst hatte den Menschen bewusst gemacht, dass sie mittlerweile sonntags nicht mehr in Scharen in die Kirche laufen, er hatte ihnen vor Augen geführt, dass Jugendliche „zwischen Kick und Kult“ ihren Platz finden. Aber Singles? Wer weiß bisher etwas über Singles? Terra Incognita der Wissenschaft.
Das ist eine echte Aufgabe, vielleicht eine noch bedeutsamere Arbeit als einst, als er den Bundeswirtschaftsminister bei der Planung der Expo im spanischen Sevilla beraten hat. Denn ist irgendwem bekannt, dass „immer mehr Menschen allein wohnen und leben“? Dass „immer mehr Menschen das Singleleben in vollen Zügen genießen“? Dass Singles häufiger in die Kneipe gehen als Familienväter- und mütter? Opaschowski sieht die Pressemitteilung für seine neue Studie schon vor seinem geis-tigen Auge. Er wird sich zitieren lassen mit dem Satz: „Singles gelten als die Hätschelkinder der Konsumgesellschaft, weil sie den Konsum anheizen und ein rund um die Uhr konsumfreudiges Leben führen können.“ Ja, schöner Satz, den nehmen wir, der ist fast so treffend wie „E-Mail ist für manche Singles wie eine Autobahn – wenn sie erst einmal da ist, kommt der Verkehr ganz von selbst.“
Opaschowski ist zufrieden. Das wird Schlagzeilen geben, Frauenzeitschriften werden das ausführlich zitieren, vielleicht sogar schafft er es bis in die Men's Health oder in die Hörzu. Er zündet sich noch eine Zigarette aus dem Fundus der British American Tobacco an (“Jede Zigarette, die man nicht bewusst genießt, ist eine zuviel“) und lächelt.
Die neue BAT-Studie „Mehr Betriebsamkeit als Einsamkeit“ ist gegen eine Gebühr von 98 Mark beim Freizeit-Forschungsinstitut, Alsterufer 4, 20354 Hamburg zu bestellen oder im Internet unter www.bat.de nachzulesen.
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