: Die Savanne von Mahndorf
■ Kleiner Fuchs und Blutbiene sagen sich gute Nacht auf der Binnendüne / Jetzt droht Gefahr durch die geplante Galoppertrainingsbahn / Große Koalition will „letzte Extremisten“ vertreiben
Die süßesten Früchte kriegen nur die großen Tiere. Aber auf fette Leckerbissen sind die Bewohner und - hört, hört - Bewohnerinnen der Mahndorfer Binnendüne auch gar nicht scharf. Im Gegenteil. Es ist gerade der ausgesprochen magere Boden der Flugsanddüne, der für mannigfaltige Insekten zum Lebensraum geworden ist. Jetzt aber wird ihnen auch noch diese bescheidene Existenz von den großen Tieren streitig gemacht: Am Rand der Düne – die unter Naturschutz steht – plant die große Koalition den Bau einer Trainingsrennbahn für Galopper (die taz berichtete). Das Problem: Eine Straße zur Übungsstrecke würde genau an der geschützten Düne vorbeiführen.
Man muss schon zweimal hingucken, bis man sie endlich gefunden hat: Unscheinbar liegt der zwei Hektar große Sandhaufen an der südlichen Böschung der Güterbahnstrecke Sagehorn-Dreye. Ein paar Halme recken sich auf dem letzten Flugsandbiotop Bremens. Soldatensegge heißt das Gras, und seit dem letzten Herbststurm heißt es, wie man beim Militär so sagt: Stehen sie bequem. In der Ferne rauscht die Bundesautobahn 1. Oder ist es die Heerstraße? Am Horizont, hinter der Mahndorfer Marsch, ahnt man das Gewerbegebiet der Hemelinger Marsch, hoch oben steuert ein Flieger den Bremer Flughafen an. Jetzt, im November, fällt die Düne hauptsächlich dadurch auf, dass alles Laub dort abgeräumt ist.
„Es sind heute gerade die nährstoffarmen Inseln in unserem notorisch überdüngten Boden, die besonders schützenswert sind“, klärt Michael Abendroth vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) auf. Der Siegeszug moderner Land- und Forstwirtschaft war der Anfang vom Ende der Binnendünen. Eine Ursache ist Überdüngung, aber auch die Emissionen von Verkehr und Industrie tun das ihrige. Stickstoff ist der Tod der Düne. Dementsprechend achten alle, denen dies seltene Fleckchen am Herzen liegt, mit Sorgfalt darauf, dass im Herbst nicht zuviel Laub den Boden bedecke. „Der Wald darf nicht übergreifen, die Birkensprößlinge müssen gerupft werden. Nicht zuletzt muss man den Müll da aufklauben.“ Michael Abendroth muss es wissen. Der BUND ist schließlich Besitzer der Düne, seit er sie mithilfe des Umweltressorts zu einem symbolischen Preis von der Bahn AG gekauft hat.
„Heute muss man diese Flächen managen“, bedauert auch Helmut Riemann, Insektenkundler am Bremer Überseemuseum. Ihm ist es überhaupt zu verdanken, dass die Düne noch existiert. Seit 1974 erfasst er alles, was hier kreucht und fleucht. Zehn Jahre später beantragte der leidenschaftliche Insektenkundler Naturschutz für das einzigartige Fleckchen Erde: 82 Bienen- und Wespenarten, dazu noch Schmetterlinge, Ameisen und Heuschrecken hat Riemann mittlerweile in seiner Inventarliste, darunter Weiden-Seidenbienen, Gallische Feldwespen und – nicht zu vergessen – die blauflüglige Ödlandschrecke. Wunderschöne Namen für Tierchen die, „zugegeben, nicht grade Sympathieträger sind“, räumt Michael Abendroth ein. Das sieht Helmut Riemann ganz anders. Die meisten der von ihm inventarisierten Insekten hat er mit respekteinflößender Genauigkeit gezeichnet. „Man klatscht da so mit dem Pantoffel drauf, aber wenn sie die auf so einer Zeichnung in groß sehen, dann können sie mit jeder Uferschwalbe konkurrieren.“ Und – so möchte man hinzufügen – mit jedem Rennpferd auch. Vielleicht sind sie wirklich schöner als die großen Tiere, auf jeden Fall aber sind sie seltener. Helmut Riemann hat schon viele Insekten in seinem Kescher gehabt, die auf der sogenannten Roten Liste der bedrohten Arten stehen. Sie alle sind, so Riemann, „Extremisten“. Im Sommer verwandelt sich der Trockenrasen in eine Miniwüste; im oft glühend heißen Innern der Düne, dem Kessel, nisten die kleinen Tierchen. Zum Teil sind sie exakt auf das Biotop angewiesen , das sie am Rande Mahndorfs vorfinden.
So zum Beispiel die Seidenbiene Colletes cunicularius. Sie legt ihre Eier in der Düne ab, und sie versorgt sich und ihre Brut mit den Pollen der nahen Weidenbestände. Insofern geht der Artenreichtum des Trockenbiotops auch zurück auf die angrenzende, mit Bäumen und Büschen umsäumte Marsch. Die wurde vor knapp 20 Jahren ins Landschaftsschutzprogramm gehievt – und jüngst wegen der Trainingsbahn wieder herausgelöst. Als Ausgleich für verlorenen Landschaftsschutz ist in der Mitte der Bahn ein See geplant. Dass die Dünenbewohner daran Freude haben werden, ist unwahrscheinlich.
Elke Heyduck
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