piwik no script img

„Architektur wird immer mehr zum Event“

Ein Interview mit dem Ostberliner Architekten Peter Meyer über Schlösser und Hütten, Wohnungsbau für Minimalverdiener und Kleckerburgen

„Die Wahrnehmung der Plattenbauten relativiert sich aber. Zumindest in der Innenstadt wird sichtbar, für wie wenig Geld man welche Stadtlage hat.“

Peter Meyer ist Architekt im Ostberliner Architekturbüro Meyer, Bach, Hebestreit, Sommerer. Zu den Projekten des Büros gehört ein Teil der Wohnbauten der Wohnungsbaugesellschaft Mitte, die derzeit in der Spandauer Vorstadt entstehen.

taz: Wie hat sich die Situation für Architekten aus dem Osten seit 1990 verändert?

Die ökonomische Verunsicherung kam dazu. Und das Verhältnis von West-Architekten im Osten zu Ost-Architekten im Westen ist 99:1. Ansonsten sind die Probleme wie damals: Man will etwas, was man nicht darf.

Weil sich der Architekt dem Willen des Bauherrn beugen muss?

Nein. Es geht um einen Prozess zwischen Reibung und Akzeptanz. Wir haben öfter für Kirchen gebaut. Da gibt es eine Gemeinde mit einer Meinung. Dann gibt es einen Meinungsstreit. Dann wird gebaut. Sie sind etwas unglücklich, wir sind unglücklich. Aber nach zehn Jahren sagt der Pfarrer: „Ist eigentlich in Ordnung.“

Nur in diesem Prozess kann ein Verhältnis zu dem Gebauten entstehen. Der Architekt muss versuchen, mit dem Bauherrn zu einem positiven Dialog zu kommen. Aber der ist für den Bauherrn meist so anstrengend, dass er selten wiederholt wird. Die Denkrahmen sind so eng, weil die Risikobereitschaft oder Intelligenz des Kapitals fehlt. Trotz aller Beschwörungen der Individualität beobachtet man eine große Monotonie im Bauen. Gleichzeitig wird die heute weithin verpönte Moderne der 20er und 60er beschuldigt, Monotonie geschaffen zu haben.

In den 20er-Jahren ging es um die Architektur der „Hütten“. Das normale Wohnhaus, der soziale Wohnungsbau müssen ganz anderen Anforderungen genügen: Schlichter, materialökonomisch, eindeutig in der Konstruktion. Es ging um möglichst viele billige Wohnungen. So wurde die scheinbare Monotonie größer. Diese Monotonie haben wir heute in der Verkleidung und in den Grundrissen, weil sich über den Preis vieles normiert und die Bereitschaft zu neuen Wegen sehr beschränkt ist. Es gibt eine Selbstdisziplinierung. So liegen immer Themen völlig brach. Derzeit zum Beispiel das Thema Wohnungsbau für Leute mit Minimaleinkommen.

Es gibt doch aber auch einige gelungene Architekturbeispiele?

Ja, aber komischerweise befinden die sich immer im Westteil der Stadt. Meine Erwartung hat sich nicht erfüllt, dass es hier im Osten das Bedürfnis gäbe, nicht den primitiven Teil des Westens einholen zu wollen – mit schlechten Baumaterialien, miesen Grundrissen, mit Billigvarianten, die teuer, also schlecht sind. Das gibt es im Osten massenhaft, es verkauft sich eher als die klaren, kühlen Kuben.Vielleicht, weil immer noch das Äußere der Plattenbauten diskutiert wird und nicht der soziale Umbau.

Aber Letzteres ist doch eine West-Diskussion.

Ja, aber die Ostler haben sie verinnerlicht. Vielleicht fehlt die Möglichkeit, sich aus so einer inszenierten Kampagne zu lösen. Wir haben hier neulich wieder eine Liste mit unseren bisherigen Arbeiten geschrieben. Da fiel mir auf: Wir fangen sie immer mit 1990 an. Wir haben schon verinnerlicht, dass wir erst da angefangen haben sollen zu leben. Die Wahrnehmung der Plattenbauten relativiert sich aber: Zumindest in der Innenstadt wird sichtbar, für wie wenig Geld man welche Stadtlage mit welcher Umgebung hat.

Im Westen ist das Idealisieren von Altbauten die Gegenbewegung. Man fragt gar nicht mehr, ob man wirklich vier Meter hohe Wohnungen mit Zimmern von 60 Quadratmetern bauen sollte und wie teuer solche Wohnungen wären. Man versucht, sich über Äußerlichkeiten darzustellen statt sich selbst.

Widersprechen Wohnungen für Minimaleinkommen nicht dem Wesen jedes Bauherrn? Geht das ohne Subventionen?

Das ginge bei erschwinglichem Grund und Boden, in Berlin also nur über eine Steuerung der Bodenpolitik. Noch gehört ein Großteil des Terrains kommunalen Gesellschaften. Darum hätte das Land selbst die Chance. Beim Baupreis selbst könnte man von „Standards“ wie dem Fliesen abgehen und sie dem Mieter überlassen. Da wäre Vieles möglich.

Auch die Plattenbauten im Osten, die wegen Leerstand auf Abriss stehen, wären ein Potenzial. Ist eine Totalsanierung nötig, oder kann man das auch unter der Beteiligung der Leute machen, die dort einziehen und dafür wenig Miete bezahlen? Was ist mit Umnutzungen?

Das sind Fragen politischen Willens. Aber die ärmere Klientel hat man kaum im Blick, auch in den Medien. Nicht bei den Aktienkursen, Autopreisen, Events. So ist ein Drittel der Bevölkerung nicht präsent. Neulich fragte jemand auf einer Diskussion über den Abriss der 60er-, 70er-Jahre-Architektur, wie es mit einer Abrisssteuer wäre? Denn Abreißen ist ökologisch völliger Blödsinn. Aber da wurde natürlich gelacht, weil es utopisch ist – weil der Kapitalverwertungsprozess behindert würde.

Bauen West-Architekten im Osten anders als zu Hause?

Die guten nicht. Aber die mit den Ost-Filialen. Ich kenne Aussagen, wonach man bestimmte Häuser in Stuttgart nicht mehr verkaufen kann. Da achten die Käufer darauf, dass eine Trennwand ein ordentliches Material hat und alles ökologisch ist – aber hier kann man das noch verkaufen.

Unterscheidet sich das Denken von Architekten in Ost und West?

Ich habe nach wie vor Schwierigkeiten, wenn jemand ein 30 Quadratmeter großes Bad haben möchte, und neige dann zum sozialen Agitieren: Wozu braucht man so ein Bad? Ein Schweizer Kollege und Freund hat mir gesagt, es wäre nicht seine Verantwortung, den von seinen Baulüsten zu kurieren, sondern sein 30-Quadratmeter-Bad ordentlich zu machen. Sicher funktioniert unser Büro auch noch anders. Das ist so etwas Sozialistisches. Wir ziehen am gleichen Strang, der Kuchen wird gleichmäßig verteilt. Ob das sichtbar wird in Häusern? Ich glaube ja, aber es hängt von den Augen ab. Wenn Häuser Qualität haben, entsteht eine Stimmung. Die kann sehr spektakulär inszeniert sein. Bei anderen ist es viel schwieriger, weil es sensibler, feingliedriger ist. Aber manche entdecken die Stimmung dort.

Wie kann das Bewusstsein für gute Architektur gestärkt werden?

Existiert überhaupt ein Bewusstsein, was optimale Architektur ist? Bei Autos weiß man ungefähr, was der jeweilige Typ für das Geld leistet. Bei Häusern entscheiden Käufer und damit auch Investoren eher geschmäcklerisch. Auch das eigentliche Wohnen ist kein Thema. Einer kauft ein Reihenhaus und stellt dann fest, dass er einen blöden Nachbarn hat und das ganze Haus nicht funktioniert, weil keine Abschirmung da ist. Er begreift das Ganze erst durch eigene Erfahrung. Ihm fehlt die Vorstellung, weil es keine Publikationen gibt, die einen tollen Wohnungsbau zeigen, der vielleicht aus öden Betonhäusern besteht, aber viele funktionale Vorzüge hat.

Es ist wie mit der modernen Musik: Schönberg ist furchtbar, moderne Häuser sind furchtbar. Der geschichtliche Abstand ist einfach zu kurz, um sie zu begreifen. Dinge, die sich geschichtlichen Werten verschreiben, werden leichter akzeptiert. Das ist mit Architektur so, mit Materialien, mit Stadtstrukturen.

Welche Rolle spielen die Medien dabei?

Was medial als Architektur verkauft wird, ist es nicht unbedingt. Hundertwassers Bauten sind zwar „Events“, doch wenn man an die technischen Probleme und den Unterhalt dieser Kleckerburgen denkt, dann ist ein solcher Bau ökonomischer Wahnsinn. Aber Hundertwasser ist populär als Inbegriff der Phantasie, Buntheit, Einmaligkeit.

Zweitens gelten Häuser als Architektur, die eher Plastiken sind. Zum Beispiel Libeskinds Jüdisches Museum: Eine wunderbare Skulptur – aber keine Ausstellung funktioniert da drin.

Das Thema Architektur ist so schwierig, weil die Normen nicht mehr zu bewerten sind, die Sehweise rein ästhetisch ist und nicht mehr ökonomisch untersetzt wird. Niemand fragt, wie teuer die Reichstagskuppel war. Architektur wird nur noch auf die Schlösser bezogen. Selbst ein Wolfgang Thierse zieht nun über moderne Architektur her. Er will lieber das Schloss und stellt damit seine eigene kulturelle Bildung derartig in Frage, lässt den Kleinbürger durch, dass man Angst kriegt.

Woran liegt das?

Macher wie Kritiker leisten keine wirkliche Auseinandersetzung mehr. Kritiker sprechen ihr Urteil nicht mehr aufgrund von Wertesystemen, gesellschaftlichen Normen. Wann ist etwas genial oder nur genialer Unsinn? Kunstkritik und Journalismus erheben sich zur eigenen Kunstgattung. Die anderen sind nur der Anlass, sich zu inszenieren. Aber wenn die flotte Schreibe wichtiger ist als das Thema, werden akzeptierte kulturelle Wertungen unmöglich. Man kann sich nicht mehr daran orientieren, sie weder akzeptieren noch angreifen, weil unklar ist, wo die Werte sind. Der „Tabubruch“ wird die Normalität. Aber dabei wird überspielt, dass es trotzdem viele Tabus gibt, etwa ökonomische und soziale. Anderssein ist kein Angriff mehr. Du rufst in den Raum, die Reaktion ist null. Die totale Freiheit macht keinen Sinn, weil kein Dialog mehr entsteht. Damit entfällt eine Erziehungs- und Bildungsmöglichkeit der Gesellschaft auf kultureller Ebene. Das ist auch das Ende einer Kultur. INTERVIEW: ULRIKE STEGLICH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen