: Spät in die Mühlen der Justiz
Zwischen Protestsong und Volksmusik zum Massenerfolg: Zum Tode des kurdisch-türkischen Sängers Ahmet Kaya
Bärtig, füllig und mit Brille, so präsentierte sich der Sänger auf seinen eher schlicht gestalteten Kassetten. In den Regalen türkischer Musikläden sticht er damit kaum heraus. Und auch seine Musik, angesiedelt zwischen traditioneller türkischer Volksmusik und modernen Arabesk-Schlagern, klingt zunächst nicht unbedingt revolutionär.
Am Anfang war das anders. Ahmet Kaya zählt zu den Begründern der „Özgün“-Musik, einer Mischung aus Protestsong und Volkslied. Damit avancierte der in Malatya geborene Sänger zu einer Art Wolfgang Biermann der Türkei, nur bis zuletzt ungleich näher am Puls seiner Zeit und auch mit größerem Massenerfolg gesegnet: Seine pathosgetränkten Balladen, oft nahe an linkem Politkitsch gebaut, verkauften sich quer durch die Türkei wie warme Sesamkringel. Allein sein Album „Sarkilarim Daglara“ („Den Bergen meine Lieder“) ging 1,5 Millionen Mal über die Ladentheken und Klapptische der mobilen Kassettenhändler der Türkei. Nach dem Militärputsch trafen seine Lieder den Nerv vor allem eines proletarischen, links stehenden Publikums, das sich in Kayas hemdsärmeliger Art wiederfinden konnte. Intellektuellen war seine politisierte Popfolklore dagegen oft eine Spur zu aufgesetzt.
Ahmet Kayas kurdische Herkunft war zunächst kein Erfolgshemmnis; viele der populärsten Musiker der Türkei stammen aus dem kurdischen Osten des Landes. Doch blieb er, der sich gerne als Volkstribun gab, nicht unberührt vom Kurdenkrieg, auch wenn er versuchte, Distanz zu bewahren. Er sei „weder ein kurdischer noch ein türkischer Nationalist“, erklärte er gerne. Das bewahrte ihn vor größeren Schwierigkeiten – bis zum Februar 1999, als er auf einer Gala-Preisverleihung ankündigte, fortan Songs auf Kurdisch schreiben und sogar einen Videoclip produzieren zu wollen. Musik mit kurdischen Texten ist in der Türkei frei erhältlich, darf aber nicht im Radio gespielt werden.
Offenbar hatte Kaya das politische Klima nach der Verhaftung von PKK-Chef Öcalan falsch eingeschätzt. Des „Separatismus“ angeklagt, drohten ihm plötzlich bis zu 7,5 Jahre Gefängnis. Vorwürfe wurden laut, Kaya habe die PKK unterstützt, und Fotos tauchten in der Presse auf, die ihn unter dem Abbild von Abdullah Öcalan zeigten und bei Konzerten in Europa aufgenommen worden sein sollen.
Um der Verhaftung zu entgehen, zog sich Kaya nach Paris zurück. Dort erlag er am Donnerstag 43-jährig einem Herzinfarkt. Teils Anteil nehmend meldeten gestern türkische Medien seinen Tod, von kurdischer Seite wird er nun eingemeindet: „Ich bin Kurde bis zu meinem Ende“, zitierte die prokurdische Tageszeitung Özgür Politika den Verstorbenen. Auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise soll er begraben werden. Dort liegt bereits ein anderer berühmter Exilant: der Regisseur Yilmaz Güney.
DANIEL BAX
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