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Der Turm – ein schlaffer Strumpf

■ Annette Streyl hat Banken, Paläste und Ikeas gestrickt

Die Deutsche Bank hängt schlapp über der Leine, in einer Vitrine daneben liegt McDonalds, gerade mal so groß wie eine Briefmarke. Sechs minuziös nachgestrickte Gebäudefassaden, neben der Deutschen noch die Dresdner Bank, der Reichstag, der Palast der Republik, Ikea und das Hauptquartier von BMW, stellt Annette Streyl Miniaturen aus Speckstein gegenüber. Der Verkleinerungsmaßstab der Strickhäuser beträgt dabei 1:100, der der Steine 1:1000 Zentimeter. Ironisch inszeniert wird hier nicht nur der Kontrast zwischen der massiven Form und ihrer kleidenden Hülle. Die Wahl der prominenten Gebäude lenkt den Blick auf ihre Besitzer – allesamt wirtschaftlich oder politisch einflussreich – und fragt nach der architektonischen Repräsentation von Macht.

Für die Banken eine Schmach: Gestrickt verkehrt sich der phallische Charakter der imposanten Bürotürme in das genaue Gegenteil: Ihrer Massivität beraubt, mutieren sie zum schlaffen Strumpf. Bei der Firma Ikea dagegen, deren wirtschaftliche Dominanz sich nicht in architektonischer Größe und baulichen Raffinessen niederschlägt, sondern in flächenhafter Ausbreitung, gehört die Zufahrtsstraße bereits zum Gebäude dazu, wie ein grauer Schal ergänzt sie das blau-gelbe „Handtuch“.

Der Reichstag trägt „Sackleinen“ mit zwei großen Taschen, die Innenhöfe, und dazu ein Lurex-Häubchen. Die Deutschlandfahnen baumeln so lustig herunter, dass es wenig erstaunlich wäre, sie bei der nächsten Haute Couture erneut präsentiert zu bekommen. Ikea Dortmund, stellt sich dann bei einem intensiven Blick in die Vitrine heraus, ist übrigens fast so groß wie der Palast der Republik. Steine wie Strickhäuser zeigen hier vertraute Bauten in neuen Relationen, eine Arbeit, die vor allem dadurch besticht, dass sie ebenso präzise ist, wie sie ungezwungen zu sein scheint.

Ganz anders muten die „Frischluft“-Zeichnungen und -Objekte der gelernten Steinbildhauerin an. Das Ensemble Frischluft-Streyl aus vier bemalten Steinskulpturen, die das eigene Auto, das Wohnhaus, die Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und einen ICE nachbilden, verbindet motivisch ein offenes Fenster. Die gezeichneten Selbstportraits zeigen die Auswirkungen warmer und kalter Luft auf den Gemütszustand. Ein Ausdruck innerer Welten, der irritieren mag. Als subjektive Ergänzung zur Architekturanalyse macht die Gruppe jedoch Sinn und setzt einer schnellen Etikettierung als „bankenstrickende Specksteinmetzin“ etwas Unprätentiöses entgegen: Das Bedürfnis nach frischer Luft.

Britta Peters

Westwerk, Admiralitätsstr. 74, bis 26 Nov., täglich 16 bis 19 Uhr, Di + Mi 15 bis 18 Uhr

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