: „Nicht nur aus der linken Ecke meckern“
PDS-Landesvorsitzende Petra Pau sieht ihre Partei als Teil der Gesellschaft. Und als möglichen Partner einer Koalition mit SPD und Grünen. Die Zusammenarbeit in den Bezirken sei bereits ein Signal „weit über die Stadtgrenze hinaus“. Folgt dem Magdeburger Modell der Berliner Aufbruch?
Interview UWE RADA
taz: Frau Pau, lieben Sie Deutschland?
Petra Pau: Das Verhältnis zu einem Land ist für mich keine Frage von Bekenntnissen. Da halte ich es eher mit Gustav Heinemann, der seine Frau liebte.
Auf dem PDS-Parteitag in Cottbus war von einem ,,guten Deutschland“ die Rede. Was ist das?
Das Parteitagsmotto „. . . dass ein gutes Deutschland blühe“ stammt aus der Kinderhymne von Bertolt Brecht. Die finde ich übrigens immer noch besser als die Hymne der Bundesrepublik.
Das Zitat sollte sagen: Wir, die PDS, sind Teil der Gesellschaft, wir stehen nicht neben ihr, wir nehmen dieses Land an, und wir wollen es zugleich verändern. Das finde ich gut, manche Debatte, die nach dem Parteitag daraufgesetzt wurde, nicht.
Ihre neue Parteivorsitzende Gabi Zimmer hat ein Bekenntnis zu Deutschland abgelegt. Wie hat denn der Berliner Landesverband der PDS reagiert?
Die 17.000 Mitglieder der Berliner PDS kommen nicht zusammen, um über ein Interview in der taz abzustimmen, wo sie das gesagt hat. Aber nach allem, was ich weiß, gibt es einen außerordentlichen Zuspruch zu den Ergebnissen des Cottbusser Parteitages. Das Interview wurde, wie wohl in der gesamten Partei, widersprüchlich aufgenommen.
Frau Pau, aber Berlin lieben Sie doch, oder? Wie sonst könnten Sie sich mit solcher Energie als Regierungspartei auf Abruf in Szene setzen?
Ich bin Berlinerin, ich bin hier aufgewachsen, und ich habe Berlin schon gemocht, als neben meinem Lichtenberger Schulweg noch Rinder weideten. Inzwischen ist Berlin größer und bunter geworden. Prima!
Woher Sie allerdings die Überzeugung nehmen, dass ich dringend in dieser Stadt regieren will, weiß ich nicht. Opposition ist eine verantwortungsvolle Sache, und was wir in den letzten zehn Jahren geschafft haben, müssen wir nicht verstecken.
Woher die plötzliche Betonung der Rolle als Oppositionspartei? Davon ist bei Ihnen doch schon lange keine Rede mehr.
Konkret: Wir waren und sind zum Beispiel in Opposition zum Verkauf landeseigener Wohnungsgesellschaften.
Prinzipiell: Wir haben Bezirke, in denen die PDS die absolute Mehrheit stellt. Da kann man schlecht Opposition gegen sich selbst machen. Wohl aber gegen die Politik der großen Koalition auf Landesebene. In anderen Bezirken, vor allem im Westteil, beginnen wir Fuß zu fassen, natürlich als linke Opposition.
Auf Landesebene sind wir die stärkste Oppositionsfraktion. Was nicht heißt, nur aus der linken Ecke zu meckern, sondern eigene, machbare, moderne Konzepte in die öffentliche Debatte zu drängen. Also zu sagen, was wir denn anders machen würden, wenn wir denn mitregieren würden, ohne deshalb zu sagen: Bitte, bitte, lasst uns regieren.
Bleiben wir einmal bei der Landesebene. Glaubt man den Äußerungen vieler Politiker, betrachtet man die zahlreichen Treffen und Begegnungen, die es in jüngster Zeit gab, dann ist eine rot-rot-grüne Koalition doch nur eine Frage der Zeit.
Seit 1995 haben wir berlinweit eine arithmetische Mehrheit von SPD, PDS und Bündnisgrünen. Und wir haben immer gesagt: An uns sollten Veränderungen nicht scheitern, wenn sie einen Politikwechsel beinhalten. Alles andere hieße doch, wir wollten die Große Koalition stützen. Und die liebe ich nun bestimmt nicht.
SPD und Grüne haben sich jetzt bewegt.
Das ist erfreulich und zugleich Eigennutz. SPD und die Grünen erkennen an, dass an der PDS vorbei keine politischen Veränderungen möglich sind. Jedenfalls nicht, wenn man mehr soziale Gerechtigkeit, eine stadtverträglichere Entwicklung und Mitsprache will. Zugleich müssen wir unser Profil weiter zu schärfen und um mehr Akzeptanz für die PDS werben.
Dieser Tage wurde ich von SPD-Mitgliedern gefragt, ob ich die Ängste verstehe, die es gegenüber der PDS gäbe. Ja, die verstehe ich. Die Mauer stand in Berlin und nicht in Magdeburg oder Schwerin. Auch deshalb haben wir eine deutlichere Bringeschuld. Ich meine aber auch, wer elf Jahre nach dem Fall der Mauer nur auf die Vergangenheit verweist, verpasst die Zukunft.
Spielen wir das doch mal durch. Die Bundestagswahlen 2002 sind gelaufen, die Abgeordnetenhauswahlen 2004 ergeben eine Mehrheit von SPD, PDS und Grünen. Welche Ressorts werden Sie in den Koalitionsverhandlungen für sich beanspruchen? Das Finanzressort oder doch eher klassisch Soziales?
Fast an jedem Wochenende lese ich Spielereien, wie denn der neue Senat zusammengesetzt sein könnte. Wie wär’s denn mit dem Abrüstungsressort, damit Berlin wirklich eine „Stadt des Friedens wird“?
Nein, ich glaube nicht, dass die Berlinerinnen und Berliner jetzt wirklich wissen wollen, wer zum Schluss Regierende Bürgermeisterin oder Sozialsenator wird. Sie interessiert, wann sich etwas verändert und in welche Richtung. Wie geht es weiter in den Schulen, mit den Krankenhäusern, mit der BVG? Und sie wollen wissen, ob weiterhin Politik auf Kosten künftigen Generationen gemacht wird oder nicht?
Es ist also völlig unerheblich für die PDS, ob Gregor Gysi als Spitzendkandidat antritt?
Wer 2004 wofür kandidiert, entscheidet die Berliner PDS, wenn die Zeit reif dafür ist und zwar im Zusammenhang mit unseren Wahlzielen. Fragen Sie 2003 wieder.
Wird es einen Spitzenkandidaten der PDS geben?
Auch das hängt von den Wahlzielen ab und wie wir den Wahlkampf führen werden. Es könnte ja auch sein, dass man angesichts der besonderen Situation Berlins über andere, spannende Lösungen nachdenken muss.
Welche wären das?
Ich habe der PDS in Sachsen-Anhalt gesagt: Wenn ihr euch von der Tolerierung verabschiedet, dann könnten wir ja mal darüber nachdenken, ob aus dem Magdeburger Modell nicht ein Berliner Aufbruch werden könnte. Man könnte sich ja auch einen künftigen Senat vorstellen, der aus weniger Parteipersonal und mehr aus Fachleuten besteht.
Viel wichtiger aber ist es, Akzeptanz für ein gesellschaftliches Bündnis zu schaffen, das eine bessere Politik will, als die der großen Koalition.
Wäre ein Fachsenat für die PDS eine mögliche Flucht nach vorne, die davon ablenken soll, dass sich PDS-Fachpolitiker im Parlament nicht gerade in den Vordergrund drängen?
Wir haben nicht nur profilierte Fachpolitiker, sondern auch Fachpolitikerinnen, in den Bezirken wie auf Landesebene. Vielleicht müssen wir mehr tun, um sie bekannter zu machen. Es ist aber bei vielen Medien auch so, dass sie erst drei Regierende fragen, ehe einmal die Opposition zu Wort kommt.
Wo sind diese profilierten Fachpolitiker auf Landesebene, von Harald Wolf vielleicht einmal abgesehen?
Wir haben sie in der Sozial- und Gesundheitspolitik, im Bereich Bildung und Kultur, bei der Stadtgestaltung. Und jetzt habe ich bestimmt anderen richtig weh getan, zum Beispiel den Verkehrspolitikern, die nicht nur Fachleute sind, sondern ebenso über die PDS hinaus als Gesprächspartner gefragt sind. Sie selbst werden 2004 nicht mehr im Amt sein.
Wer wird die PDS als Vorsitzender oder Vorsitzende in den nächsten Wahlkampf führen?
Zum Jahresende 2001 wird es einen Wahlparteitag geben, auf dem sich jede und jeder bewerben kann. Dass der jetzige Landesvorstand dazu Vorschläge unterbreitet wird, halte ich für normal. Aber entscheidend sind natürlich die Delegierten.
Wird ein Vorschlag Stefan Liebich heißen?
Liebich ist nicht beliebig.
Gibt es noch andere Kandidaten, die Sie sich vorstellen können?
Unterschätzen Sie nicht unsere Fantasie.
Mit anderen Worten: Die PDS hat kein Personalproblem. Auch nicht in Berlin.
Wir haben gute Leute, aber wir hätten gern mehr, auch Mitglieder.
Im Fusionsbezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist mit Bürgermeisterin Bärbel Grygier erstmals eine PDS-Politikerin auch für den Westen zuständig. Welche Rolle hat das Bündnis von PDS, SPD und Grünen denn nun wirklich über die Bezirksgrenzen hinweg?
Das wird sich zeigen. Im Moment ist es ein Signal, weit über die Stadtgrenze hinaus. In den alten Bundesländern haben manche erst dadurch mitbekommen, dass wir in Berlin gewachsen sind, in Bezirksratshäusern Sitz und Stimme haben, nun sogar im Westteil der Stadt.
Ich könnte auch sagen: Der Berliner Witz ist weitsichtiger als die Strategen der CDU. Denn die neuen Bezirken wurde ja extra so geschnitten, dass die PDS möglichst wenig Stadträte und Bürgermeister behalten möge. Nun freut sich Bärbel Grygier auf Kreuzberg.
PDS, Grüne und SPD haben sich im Fusionsbezirk ja viel vorgenommen und wollen neben einer reinen Zählgemeinschaft auch inhaltlich zusammenarbeiten. Wo sehen Sie denn da die Fallstricke?
Ein böser Strick wird weiter gespannt, die Haushaltsschlinge. Man ja kann politische Ziele vereinbaren, so gut man will. Letztlich muss man sie finanzieren und da wird es für die Bezirke von Jahr zu Jahr enger. Zugleich: Inhaltliche Vereinbarungen auf Bezirksebene sind ungewöhnlich.
Insofern finde ich es spannend und gut, dass sich SPD, Grüne und PDS – Ost und West – auf eine gemeinsame Plattform gestellt haben.
Sie sind zum Erfolg verdammt.
Richtig. Sie haben es niedergeschrieben und durch die Wahl zum Bezirksamt besiegelt, während die Kreuzberger CDU trutzig meinte, nun sei die Demokratie beerdigt worden.
Ich kann der BVV-Mehrheit nur viel Glück wünschen. Denn die Friedrichshainer und Kreuzberger werden sich 2002 zur Bundestagswahl und 2004 zur Abgeordnetenhauswahl fragen, was dieses Bündnis vermocht hat. Und die Wahlverlockung, sich gegeneinander zu profilieren, ist natürlich und real.
Was wird es gebracht haben, in Prenzlauer Berg, Pankow und Weißensee einen SPD-Bürgermeister mitgewählt zu haben?
Schaun wir mal. Jedenfalls hat die PDS auf politischer Grundlage demokratische Verlässlichkeit bewiesen. Das wünschte ich mir auch von anderen Parteien in anderen Bezirken.
Steht die PDS in Berlin auf der Schwelle zu einer neuen Phase ihrer Politik?
Es gibt Unterschiede zwischen der Landes- und der Bundespartei. Zugleich sage ich: Nein, wir sind gemeinsam in einer dritten Phase, ohne übern Berg zu sein. Die erste war pure Selbstbehauptung, Überlebenskampf. Ich erinnere nur an den Hungerstreik, als es um einen unberechtigten Steuerbescheid ging, der uns in den Bankrott treiben sollte.
1993/94 begann eine Konsolidierungsphase. Seit 1998 sind wir klar in einer Profilierungsphase. Wir sind Teil inhaltlicher Debatten und wenn eine Frage steht, können wir nicht mehr sagen, dafür brauchen wir noch zwei Parteitage und vier Fachkonferenzen.
Wir müssen erkennbar alternativ bleiben und schneller wahrnehmbar werden.
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