: Selbstgerecht in Amt und Freizeit
Wolfgang Schäuble, das ist der Mann, der im Tagebuch des Exkanzlers zum Bösewicht schlechthin wird. Zum Intriganten. Zum Vatermördervon SEVERIN WEILAND
Der Altkanzler hat sein Tagebuch vorgelegt. Häppchenweise. Wie es sich gehört, wenn man die Abdruckrechte an einen Großverlag verkauft. Spannung muss sein und Geld soll ja auch verdient werden. Gestern war es die Welt am Sonntag, heute folgt die Fortsetzung in der Tageszeitung Die Welt. Interessiert da noch der CDU-Bundesparteitag zur Bildungspolitik, der heute in Stuttgart beginnt? Ob Angela Merkel mit Berufsschülern diskutiert, dass sie am Wochenende einen Aufsatz zur „Neuen Sozialen Marktwirtschaft“ hat veröffentlichen lassen? Ob Laurenz Meyer als neuer Generalsekretär im Amt bestätigt wird?
Es spielt keine Rolle, wie sehr man sich auch bemüht bei der CDU. Der Altkanzler hat geschrieben. Und das allein absorbiert schon die Kräfte. „Ich bin neugierig und werde es mit Spannung lesen“, hat Angela Merkel verkündet. So will er es, so war es in der Vergangenheit. Immer im Mittelpunkt. Mit Kohls 352 Seiten starken Tagebuch, das den Zeitraum 1998 bis 2000 umfasst, ist die CDU wieder bei dem angelangt, was sie eigentlich hinter sich lassen wollte: beim Selbstfindungsprozess. Er wolle, sagt Kohl, „in die Offensive gehen“ und die „Geschichtsverfälscher stellen“. Das klingt gut. Offensive. Stellen. Eine Mischung aus Generalstab und Wildwest.
Der Blick in den Vorabdruck verrät, wem das Duell in allererster Linie gilt: Wolfgang Schäuble. Der hatte, in Kenntnis des Kohl’schen Buches, schon im September seine Version geliefert. „Mitten im Leben“. 347 Seiten für eine Szene, in der er Kohl erfolglos auffordert, die Namen der Spender zu nennen. 347 Seiten für einen Satz, der den Bruch vollzog: Er habe „schon zu viel Zeit“ seiner „knapp bemessenen Lebenszeit“ mit Kohl verbracht. Damals war es der Stern, der Schäuble den Platz freischaufelte. Über dem Editorial des Chefredakteurs wurde auch schon gleich der Tagesbefehl mitgeliefert: „Munition gegen Kohl.“
Im Kampf um die Deutung der Geschichte wird jetzt also zurückgeschossen. Der Lauf ist ausgerichtet: auf Wolfgang Schäuble. Der Mann, der seine wichtigsten politischen Jahre seinem Herrn opferte, wird im Tagebuch zum Intriganten. Schäuble ist der Mann, der im Hintergrund agiert, dem Kohl mit jedem Tag der Krise misstrauischer begegnet. Bezeichnend ist jene Passage, in der Kohl über den berühmt gewordenen Aufsatz von Angela Merkel in der FAZ schreibt, in dem sie die Emanzipation ihrer Partei vom ehemaligen Kanzler verlangt. Hat Schäuble vom Artikel gewusst oder nicht, fragt sich Kohl: „Angesichts des engen Vertrauensverhältnisses zwischen Parteivorsitzendem und Generalsekretärin erscheint es mir undenkbar, dass Wolfgang Schäuble von dieser Aktion nichts gewusst haben soll. Ich bin bestürzt.“
Zur Spendenaffäre erfährt man nichts, was Kohl nicht schon gesagt hätte. Er bedauere, 2,1 Millionen Mark am Rechenschaftsbericht vorbei „direkt für die Parteiarbeit“ eingesetzt und damit der CDU geschadet zu haben, sagt er in einem Vowort in der Welt am Sonntag. Über Details liegt der Mantel des Schweigens. Was ist mit der Eine-Million-Spende, die CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep 1991 vom Waffenhändler Karlheinz Schreiber in Empfang genommen hat? „Ich spreche noch am Abend mit Wolfgang Schäuble. Es verschlägt uns fast die Sprache.“ Aber eben nur fast. Dass Kohl sich in derselben Passage vom 4. November 1999 ausgerechnet an die 100.000 Mark erinnern will, die Schreiber 1994 Schäuble zukommen ließ, ist hingegen eins jener erstaunlich zu nennenden Details des Kohl’schen Gedächtnisses. Schließlich war es jene Spende, die Schäubles Karriere ein Ende setzte. Der Betroffene hat sich jedes Kommentars verweigert. Bislang. „Es gibt Dinge, zu denen ich mich öffentlich nicht äußern muss“, sagt Schäuble im Spiegel-Interview dieser Woche.
Helmut Kohls Tagebuch, das den Zeitraum von 1998 bis 2000 umfasst, ist so flach wie Bekenntnisbücher anderer Politiker. Staunend fragt sich der Leser: Das war es? Vielleicht aber ist die Frage schon falsch gewählt, weil Bücher dieser Art keiner historischen Erkenntnis dienen soll, sondern der Forsetzung des politischen Kampfes mit anderen Mitteln. Wo der frühere Parteichef Schäuble zum Bösewicht wird, werden andere zu Lichtgestalten. Wohlgemerkt jene, die mit Kohl durch dick und dünn gegangen sind und in der Vergangenheit auch manche Demütigung des Übervaters hingenommen haben.
Wie Bernhard Vogel, von dem der frühere Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Klaus Dreher, in seinem kenntnisreichen Kohl-Buch zu berichten weiß, wie dieser als Kultusminister von Rheinland-Pfalz während einer Feier auf dem Tisch tanzen musste: „Mach’ de Aff“ soll Kohl ihm dabei zugerufen haben. Jener Bernhard Vogel also wird im Kohl-Tagebuch ein Mann titanischen Ausmaßes, ein „Glücksfall für Thüringen, ein Glücksfall für die CDU, für die Bundesrepublik“.
Er wolle, hat Kohl in einem Vorwort zum Abdruck in der Welt am Sonntag geschrieben, nicht selbstgerecht sein. Das liege ihm „fern“. Das aber hält Kohl nicht durch. „Der Besorgnis, der Partei werde durch die Spendenaffäre großer Schaden zugefügt, ist verständlich. Doch vermutlich leidet unter der neuen Affäre niemand mehr als ich, zumal sich Presse und elektronische Medien mit aller Macht auf mich stürzen“, heißt es unter dem Eintrag 22. 11. 99. Das war der Tag, als der Untersuchungsausschuss zur CDU-Spendenaffäre durch den Bundestag eingesetzt wurde.
Der Schritt Angela Merkels, ihrer Partei per FAZ zwei Tage vor Weihnachten 1999 den Befreiungschlag zu empfehlen, trifft auf einen Kohl, der seine Welt aus den Fugen geraten sieht: „Dass diejenigen, die in der CDU jetzt Verantwortung tragen, die Zukunft selbst in die Hand nehmen, entspricht auch meiner Meinung; aber warum soll die Partei sich von mir lösen, warum will Angela Merkel den Bruch mit mir?“
Die neue CDU-Chefin, sie kommt in Kohls Tagenbuch vergleichsweise gut weg. Ein Hinweis darauf, wie sehr es in die Partei hineinwirken soll. Merkel, resümiert er ihre Tätigkeit als Umweltministerin, sei eine „lernfähige, entscheidungstarke und auf internationalem Parkett sehr erfolgreiche Persönlichkeit“. Die von ihm als Generalsekretärin – auf Wunsch Schäubles – eingesetzte Merkel, zitiert er Gerüchte aus seiner Partei, könne sich bei ihm „alles erlauben, weil ich an ihr einen Narren gefressen habe“.
Mit dem Tag ihres FAZ-Artikels „scheint“ der „gemeinsame Weg“ nunmehr zu Ende zu gehen. „Scheint“ heißt es da unter dem Datum 22. 12. 1999. Nicht der gemeinsame Weg „ist“ zu Ende. An solchen sprachlichen Kleinigkeiten zeigt sich, wie sehr das Tagebuch des Helmut Kohl einem Schulzeugnis ähnelt: Schäuble mangelhaft, Merkel ausreichend. Ein Bruch mit Merkel, das kommt heute nicht mehr in Frage. Hat sich doch die Ostdeutsche in den Augen von Helmut Kohl teilweise rehabilitiert. War sie es nicht, die der SPD mangelnde Liebe zum Vaterland vorwarf, als zehn Jahre Einheit gefeiert wurden? Würdigte nicht sie am 2. Oktober in Berlin Kohls Rolle in den entscheidenden Jahren 1989/90? Helmut Kohl hat mittlerweile wieder zurückgefunden in seine Fraktion. Er arbeitet mit, vorzugsweise an europapolitischen Themen. Und es gibt einen nicht unerheblichen Teil unter den Abgeordneten, die dem Kurs der Parteispitze nur unter Murren folgen.
Angela Merkel hat sich in den Streit der älteren Männer nicht mit einem eigenen Werk eingeschaltet. Dafür gibt es ein Buch eines Focus-Redakteurs, dem sie zwanzig Stunden lang Rede und Antwort stand. Heraus kam ein mehr oder weniger positives Portrait über die Aufsteigerin, so, wie es in dem verwobenen Geflecht zwischen Journalisten und Politikern häufig der Fall ist. Aufklärung zur Spendenaffäre hingegen leistete der schmale Band nicht.
Das war auch nicht die Absicht. Als das Buch im Berliner Kulturkaufhaus Dussmann vor einigen Wochen präsentiert wurde, war der übliche Kreis von Journalisten und Unionsabgeordneten zugegen. Sie sind in erster Linie die Adressaten jener Bücher, seien sie von Kohl, Schäuble oder Merkel. Einen „Bücherkrieg der älteren CDU-Heerführer“ nannte die FAZ die Neuerscheinungen aus den Reihen der Union. Helmut Kohl hat sich diese Woche an die Spitze der Heerführer gestellt. Am Freitag will er sein Buch offiziell in Berlin präsentieren. Dann wird ihm noch einmal die Aufmerksamkeit zuteil, die er sich mit seinem Tagebuch erhofft hat und die sich einstellen wird, weil der Medienbetrieb Stoff zur Verwertung braucht.
Vor der Präsidiumssitzung in Stuttgart war Angela Merkel gestern bemüht, das Tagebuch ihres früheren Chefs herunterzuspielen. Die „ganze Partei“ habe an der Affäre „unendlich“ gelitten, widersprach sie Kohls Darstellung. Um sich dann mit den Worten zur Sitzung zu verabschieden, sie „möchte jetzt nach vorne schauen“.
Das will die CDU seit über einem Jahr. Doch Helmut Kohl, der Verursacher der Krise, lässt seiner Partei keine Chance. Wie heißt es doch in seinem Vorwort in der Welt am Sonntag? „Mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln werde ich meine erfolgreiche Arbeit in der Innen- und Außenpolitik und unser 16-jähriges Ringen um den besten politischen Weg für Deutschland und Europa verteidigen“. Das Tagebuch, es ist eines dieser Mittel. 2002 will Kohl dann seine Biografie folgen lassen. Ob das klug ist, wird sich zeigen. Bekanntlich sind dann Bundestagswahlen.
Es gibt Dinge, zu denen ich mich öffentlich nicht äußern muss.“ (Wolfgang Schäuble)
„Ich bin neugierig und werde es mit Spannung lesen.“ (Angela Merkel)
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