der bruder des cineasten:
von HEIKE RUNGE
Eigentlich war geplant, abends zu zweit anstrengende Filme zu gucken, aber der Cineast war verhindert und schickte seinen Bruder, den Gourmet. Am Anfang einer Beziehung zwischen Gourmet und Normalesser stehen Beleidigungen („Aldifraß“), Drohungen („Doch nicht mit diesem Messer!“) und Britta, der Wasserfilter. Britta steht plötzlich in der Küche des Nicht-Gourmets und ist eine Schenkung des Gourmets, verbunden mit der Auflage, dass das Kaffee- und Nudelwasser gefälligst gereinigt werden muss. So weit kam es allerdings erst gar nicht. Gourmets finde ich nämlich nur im Fernsehen erträglich, zum Beispiel mag ich das aufgeregte Herumgehüpfe um die Töpfe, in denen irgendwelche schleimigen Substanzen vor sich hin gurgeln, und ganz besonders den Moment, wo blitzschnell die Cruise-Missile-große Pfeffermühle ins Bild gehievt wird. Wenn es wirklich mal obszön wird, schaltet man eben um. Und irgendwann werden ja alle Gourmets obszön.
Mein Gourmet war extrem kulinarisch veranlagt, hatte die Willemsen-mäßige Angeberweltsicht, also die „Schnecke, Antilope, Wüstenmaus, ich hab sie alle gehabt“-Nummer. Dauerfeuchte Lippen, so kurz vorm Sabbrigen. Für diesen Abend hatte er ein kleines, feines Restaurant ausgewählt, wo immer neue, äußerst kleine Tiere und Details von äußerst kleinen Tieren auf den Tisch geschoben wurden, während der Gourmet in Dolby-Surround erläuterte, dass praktisch die gesamte Tierwelt essbar sei und früher oder später auf seinem Teller landen würde. Zungen waren „das Erlebnis“, Drüsen „der Genuss“, Därme „die Offenbarung“, und nur die kulturellen Tabus verhinderten, dass wir hier und heute zum Beispiel ein leckeres Genital genießen sollten: „Mein Penis ist ganz zart, und deiner?“ Ein Hoch auf die Tabus.
Kulturkapitaltechnisch machen sich ein paar kulinarische Kenntnisse ja immer ganz gut. An meinem ersten Tag in einer kleinen, hübsch durchgeknallten Tageszeitung übertrug der damalige Chefredakteur dem Feuilleton eine Aufgabe von – pssst! – höchster Wichtigkeit. Das Kulturressort sollte dem Leitartikelschreiber eine Liste mit französischen Speisen zusammenstellen, Gerichte wie Boeuf-dingsbums wollte der dann lässig in seinen Kommentar einstreuen, um Argumente abzufedern und ein bisschen savoir vivre anzutäuschen. Keine Ahnung, gegen wen es in dem Kommentar eigentlich ging. Wahrscheinlich gegen die Veganer, die mit französischer Leitkultur eingeschüchtert werden sollten. Vielleicht aber auch gegen das Exportverbot von britischem Rindfleisch, denn die Zeitung trat damals ziemlich engagiert für den Import von BSE-Madness ein. Ich setzte Cocq au vin und Ratatouille auf die Liste. Ratatouille wurde schwer missbilligt und sofort gestrichen. „Keine billigen Eintöpfe“, erklärten die Kommunisten. War für mich auch okay, jetzt wussten die schon mal, wem sie die Volksküche im Kommunismus auf keinen Fall würden übertragen können. Und auch in den Zukunftsutopien des Gourmets wird mir wahrscheinlich keine tragende Rolle zugewiesen werden.
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