piwik no script img

Grüß Gott in Berlin!

Worauf sich Julian Nida-Rümelin, der neue Staatsminister für Hauptstadt-Kultur, in seinem Amt gefasst machen darf: Ein Brief aus der Provinz

Lieber Herr Nida-Rümelin,

herzlich willkommen in der Berliner Kulturpolitik! Wir wissen zwar nicht genau, wer Sie sind und was Sie in München gemacht haben – aber wir sind sicher, dass wir viel Spaß miteinander haben werden.

Warum Ihr Vorgänger, Herr Naumann, ständig von uns genervt war, können wir uns überhaupt nicht erklären. Merken Sie sich: Wenn in Berlin etwas schief läuft, sind immer die anderen schuld. Herr Naumann hat sich ja immer viel darauf zugute gehalten, dass er fast so viel für die Berliner Kultur bezahlt wie wir selbst. Er hat immer behauptet: Fast die Hälfte seines Etats fließt in die Hauptstadt. Mag sein – mit Zahlen nehmen wir es nicht so genau. Eines aber haben wir nie verstanden: Warum hat uns Herr Naumann nicht gleich sein gesamtes Geld gegeben?

Etwa bloß, weil die CSU immer gemosert hat? Die sollen sich nicht so haben. Inzwischen haben wir uns nämlich kundig gemacht – und erfahren, dass die Kultur bei Ihnen in München überhaupt keine Geldsorgen hat. Warum gibt Ihr komischer Freistaat pro Jahr fast 600 Millionen Mark für die Kultur in der Landeshauptstadt aus – während wir im dreimal so großen Berlin gerade mal eine Milliarde haben? Das ist ungerecht.

Herr Naumann wollte komischerweise immer wissen, was wir hier in Berlin mit dem Geld machen. Das konnten wir ihm nie sagen. Sie wissen ja: Kulturföderalismus.

Zugegeben, so richtig auf die Reihe bekommen haben wir eigentlich nie etwas. Unser Bürgermeister zum Beispiel hat das Holocaust-Mahnmal nie gewollt. Beim Jüdischen Museum hatten wir uns zuerst mit dem Direktor zerstritten, und als das Gebäude endlich stand, war plötzlich kein Geld für die Ausstattung mehr da. Auch bei der „Topographie des Terrors“ müssen wir uns irgendwie verrechnet haben. Aber, wie gesagt: Solange Sie bezahlen, ist das alles gar kein Problem.

Ach ja, dann sind da ja noch die drei Opernhäuser. Auch da fehlt uns, wie Sie wohl schon wissen, die eine oder andere Million. Aber zum Glück hat uns Herr Naumann ja verboten, Herrn Barenboim in die Wüste zu schicken. Deshalb können wir die Staatsoper jetzt nicht mehr schließen. Für diesen Kollateralschaden müssen Sie jetzt aufkommen. Wir hoffen, Sie können dieser Logik folgen.

Wenn nicht, dann können wir auch anders. Fährt der Laden hier gegen die Wand, müssen Sie Regierender Bürgermeister werden. Schließlich hat sich schon Ihr Vorgänger für den Posten ins Gespräch gebracht. Dann müssen Sie sich auch noch mit Krankenhausplänen und Schwimmbadpleiten beschäftigen. Das ist zwar nicht ganz so attraktiv wie ein Herausgeberposten bei der Zeit, aber dieser Job ist ja erst einmal vergeben. Dann müssten Sie zwar endgültig auf ihren Lehrstuhl in Westdeutschland verzichten – aber wenn irgendetwas schief geht, finden wir für Sie bestimmt einen Versorgungsposten bei einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft.

Bevor Sie so richtig in die Berliner Politik einsteigen können, müssen Sie allerdings Ihre Position zu folgenden Fragen klären:

1. Soll das Brandenburger Tor für den Autoverkehr geschlossen werden? 2. Soll die „Kanzlerbahn“ erst nach der Fußballweltmeisterschaft gebaut werden? 3. Soll der Religionsunterricht an den Schulen zur Pflicht werden? 4. Wann sollen die Flughäfen Tegel und Tempelhof geschlossen werden?

Erst wenn Sie sich für diese Probleme begeistern können, dann haben Sie Ihre Kompetenz als Professor für praktische Philosophie wirklich unter Beweis gestellt.

Wir wünschen Ihnen in Berlin gute Unterhaltung!

Ihre Berliner Kulturpolitiker AUFGEZEICHNET VON RALPH BOLLMANN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen