: Dürrer Dank und Demontage
Der Lotse wird von Bord gegangen: Chefredakteur Roger de Weck muss seinen Hut nehmen. „Die Zeit“ bekommt einen Kulturminister a. D. als Vordenker – und hat nun noch einen Leitartikler mehr
von ARNO FRANKund STEFFEN GRIMBERG
„Unübersichtlich“ findet am Tag zwei nach dem fait accompli die Redaktion die Lage am Speersort 1. Die Zeit hat einen Herausgeber mehr, das zumindest ist amtlich. Sicher ist auch: Wer immer Chefredakteur des Hamburger Traditionswochenblattes wird, erbt ein radikal anderes Amt, als es der in aller Öffentlichkeit demontierte Roger de Weck offiziell noch bis Jahresende innehat.
Jetzt werde ein „Schleppenträger“ für Joffe und Naumann gesucht, meint ein Redaktionsmitglied, vielleicht brächte der Staatsminister für Kultur und Medien ja gleich jemandem aus dem Freundeskreis mit. Das es ganz ohne Chefredakteur gehen könnte, wie hier und da spekuliert wird, scheint eher unwahrscheinlich: Eine „Bodenstation“ zwischen den künftigen „Hands-on“-Herausgebern Joffe und Naumann und der Redaktion sei unverzichtbar, Namen potenzieller Kandidaten schwirren bundesweit durch die Branche.
Die Stimmung in der Redaktion jedenfalls bleibt schlecht. Das unwürdige Abservieren de Wecks, dieses „Verfahren unter aller Kanone“, eint Anhänger und Gegner des Schweizers, der im September 1997 den glücklosen Robert Leicht beerbte. Nach viel internem Gezerre durfte die Redaktion bei der Konkurrenz nachlesen, wie es um de Weck stand. „Allgemeines Entsetzen darüber, wie das Ganze zu Stande gekommen ist“ herrscht auch in der Berliner Zeit-Dependance, wo man sich noch stärker als in Hamburg von allem Informationsfluss abgeschnitten fühlt.
Mit knappen Worten hatte am Mittwoch der Holtzbrinck-Verlag per Pressemitteilung den Schlusspunkt der Demontage gesetzt: „Roger de Weck wird nach erfolgreicher Neupositionierung der Zeit sein Amt als Chefredakteur Anfang nächsten Jahres abgeben. Trotz bestem persönlichen Einvernehmen und Übereinstimmung in der Zielsetzung für das Blatt gab es unterschiedliche Auffassungen zwischen de Weck und Verleger Dieter von Holtzbrinck in Bezug auf die weiteren konzeptionellen Ausbaumaßnahmen für die Zeit“, hieß es da, dann folgte ein auffällig dürrer obligatorischer Dank für die geleistete Arbeit.
Was da für ein Ausbau geplant gewesen sein soll, weiß in der Redaktion keiner so recht. „Kryptisch“, nennt ein Redakteur daher die Begründung, zumal de Weck doch „eingeführt hat, was der Konzern wollte“, und auch sonst gegenüber Holtzbrinck-Geschäftsführer Michael Grabner „wenig Widerstand“ spüren ließ.
Grabner, der sich angesichts der „heutigen Gegebenheiten“ unter einem „tüchtigen und verantwortungsbewussten Journalisten“ jemanden vorstellt, „der sich als ein unternehmerisch denkender Journalist versteht und der betriebswirtschaftlichen Fragen und Fragen nach der Effizienz nicht ausweicht“ – so Grabner bei einer Rede an der FU Berlin – könnte also eigentlich mit de Weck zufrieden sein. Denn Rentabilität sei auch das oberste Ziel des Chefredakteurs gewesen, heißt es in Hamburg.
Als guter Soldat seines Verlages hatte Roger de Weck – gegen konservative Widerstände in der Redaktion – die gewünschten Reformen angeschoben, ein neues Layout durchgesetzt, das unrentabel gewordenen Zeit-Magazin eingestellt und durch das bunte Ressort „Leben“ ersetzt – und zuletzt den schrittweise vollzogenen Relaunch von hinten mit überarbeiteten Reise- und Wirtschaftsteilen fortgesetzt. Noch vor Jahresfrist gefragt, ob er sich denn vorstellen könne, wieder in die Schweiz zurückzukehren, antwortete der damals 46-Jährige mit einem französischen Sprichwort: „J’y suis, j’y reste“ – hier bin ich, hier bleibe ich.
Der Bankierssohn, aufgewachsen in Genf und Zürich, begann 1976 seine Karriere als Wirtschaftredakteur der Tribune de Genève, bis er 1979 zur Züricher Weltwoche wechselte. Nach einem Intermezzo in der Politikredaktion der Zeit lernte er als Zögling von Verleger Gerd Bucerius das Verlagsgeschäft kennen, bevor er 1991 als Chefredakteur zum Züricher Tages-Anzeiger wechselte – offenbar zur rechten Zeit an den rechten Ort. Dort krempelte er das verschlafene Blatt gründlich um, baute die Redaktion von 40 auf 220 Mitglieder aus und steigerte damit nicht nur die Auflage der zweitgrößten Schweizer Tageszeitung, sondern auch ihre Reputation: „Die Zeitung bekannte sich zu Maßstäben, orientierte sich auch im Sturm an festen Werten“, rief ihm 1997 der Schriftsteller Adolf Muschg hinterher, als de Weck schon wieder gegangen war. Wegen drastischer Sparmaßnahmen der Konzernleitung, die der ehrgeizige Chefredakteur nicht mittragen wollte – und weil so der Tages-Anzeiger „meinem Anspruch nicht länger gerecht werden“ kann, wie de Weck damals formulierte. Außerdem lag da das Angebot aus Hamburg, in die Fußstapfen von Robert Leicht zu treten, um „die Zeit ökonomisch und journalistisch zu sanieren und das Objekt wieder rentabel zu machen“. Unter de Wecks Ägide wurde nicht nur das Zeit-Magazin Opfer einer umfassenden Teilerneuerung, sondern auch der langjährige Herausgeber Theo Sommer – der wurde, auch auf Betreiben von Roger de Weck, 1999 durch Josef Joffe von der Süddeutschen Zeitung abgelöst.
Nun wird de Weck vom Herrausgeber-Tandem Joffe-Naumann verdrängt. Das Zentralorgan der Leitartikler bekommt noch einen leader writer mehr.
Und bei allen Beteuerungen Grabners, die sechs Millionen Mark jährlicher Verluste der Zeit und der nur durch massive Sonderverkäufe zum ermäßigten Tarif gestoppte Auflagenrückgang hätten rein gar nichts mit dem Abgang des Chefredakteurs zu tun: Die Frage bleibt, ob der mysteriöse „Ausbau“ des Blattes nicht woanders Einsparungen und Qualitätseinbußen auslösen könnte, die der Chefredakteur nicht mitzutragen bereit war.
De Weck hüllt sich derzeit verständlicherweise in Schweigen. Ein kleines Vermächtnis fand sich trotzdem schon in der vorletzten Zeit, passenderweise als „SMS-Leitartikel in 160 Zeichen“ auf der Titelseite des nach wie vor umstrittenen „Lebens“: „Die Kunst ist es, Journalismus zu machen, trotz der Medien. Bis dann. Ihr Roger de Weck.“
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