: USA wählen Trut- oder Kampfhahn
Pünktlich zu Thanksgiving, wo die US-Bürger eigentlich ihre Ruhe haben wollen, ziehen die US-Republikaner vor das Oberste Gericht, um die Handnachzählungen in Florida doch zu stoppen. Dabei helfen die dem Demokraten Al Gore nicht viel weiter
aus Washington PETER TAUTFEST
Die Schlacht um die US-amerikanische Präsidentschaft geht während des Erntedankwochenendes weiter. Während im ganzen Land Truthähne im Ofen gebräunt werden, dringt die Speerspitze der Bush-Kämpfer in Richtung des Obersten Gerichtes der USA in Washington vor. Es ist ein Zangenangriff, der zwei Urteile aushebeln soll: Das Urteil des floridianischen Obersten Gerichts, das Nachzählen von Hand bis zum kommenden Montag erlaubt hat, und das Urteil eines Berufungsgerichts in Atlanta, das sich geweigert hatte, die Entscheidung eines Bundesgerichts in Miami aufzuheben, das ebenfalls Nachzählen per Hand zugelassen hatte.
Der in ungewöhnlich scharfem Ton gehaltene Schriftsatz der Anwälte Bushs soll „ein selektives, willkürliches Stimmauszählungsverfahren ohne Standards stoppen, das an Anarchie grenzt und droht, die Wahl des Präsidenten in Florida in einen Zirkus zu verwandeln“. Das Oberste Gericht wird wahrscheinlich seine Entscheidung am Freitag bekannt geben. Es kann beide oder einen oder keinen der Anträge annehmen oder kommentarlos ablehnen.
Sollte das Gericht die Nachzahlung stoppen, wäre Gore am Ende. Dieses Oberste Gericht ist aber seit Jahren dafür bekannt, dass es die Macht des Bundes gegenüber den Bundesstaaten zurückstutzt. Es gilt als sehr unwahrscheinlich, dass es sich in einen Streit zwischen dem Landtag und dem Obersten Gericht des Bundesstaates Florida einmischen wird. Also wäre es erstaunlich, wenn es dem Antrag des Bush-Lagers stattgeben würde.
Ein zweiter Angriff der Bush Campagne gilt dem floridianischen Landtag, der in letzter Kompetenz die 25 Wahlmänner für den Bundesstaat Florida benennen und sich über die Zählergebnisse der Landkreise hinwegsetzen kann. Das dürfte nicht einfach sein, denn die Republikaner haben im floridianischen Landtag keine Zweidrittelmehrheit. Und an dritter Front haben die Republikaner in Washington angekündigt, dass die Verfassung in letzter Instanz dem Kongress die Beglaubigung der Wahlmännerentscheidung überlässt. Eine von ihnen als illegitim empfundene floridianische Wahlmännerdelegation würde also nicht anerkannt werden. Damit läge die Wahl des nächsten US-Präsidenten beim Kongress. Um die Sache so richtig kompliziert zu machen, ist das gerade schwieriger geworden, weil im Bundesstaat Washington die demokratische Senatskandidatin Maria Cantwell gegenüber dem republikanischen Senator Slade Gorton in Führung ging, womit der nächste US-Senat akkurat 50:50 geteilt wäre.
Derweil musste Al Gore erfahren, dass sein jüngster Triumph vor dem obersten floridianischen Gericht von kurzer Dauer war. Der salomonische Stolperstein, den die Richter eingebaut hatten – sie ließen Auszählung per Hand zu, setzten ihr aber eine knappe Frist – wurde den Zählern des Landkreises Miami-Dade zum Verhängnis. Sie gaben auf. Dagegen will Gore klagen.
Gore errang immerhin einen Teilsieg in einer anderen Entscheidung. Ein Bezirksgericht in Palm Beach entschied, dass der Wahlausschuss jeden Stimmzettel einzeln beurteilen und aus der Art der Ausbeulungen, die der Wähler beim Lochen der Lochkarte hinterlassen hat, den Wählerwillen rekonstruieren muss. Nur mit Hilfe dieser Stimmzettel mit Beulen und Grübchen und fraglichem Wählerwillen nämlich könnte Gore Bushs Stimmenvorsprung von 930 Stimmen eventuell noch aufholen. An unstrittigen Stimmen hat Gore nur 295 zugelegt, und zieht man die 157 Stimmen aus Miami-Dade wieder ab, weil da nicht weitergezählt und folglich das erste Ergebnis aus maschineller Zählung wieder gelten wird, sind es am Ende nur noch 139 Stimmen Zugewinn für Gore.
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