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Badeunfall erweist sich als rassistischer Mord

Dresdener Staatsanwaltschaft erlässt drei Haftbefehle wegen der brutalen Tötung des sechsjährigen Joseph A. in Sebnitz. Der Fall wurde als Badeunfall zu den Akten gelegt

BERLIN taz ■ Junge Neonazis sollen vor drei Jahren im sächsischen Sebnitz einen sechsjährigen Jungen gequält und anschließend ertränkt haben. Aufgrund von Zeugenaussagen hat die Oberstaatsanwaltschaft in Dresden jetzt gegen drei Verdächtige Haftbefehl erlassen. Zwei Männer und eine Frau stünden im dringenden Verdacht, an der Tötung des Jungen beteiligt gewesen zu sein, sagte gestern der leitende Oberstaatsanwalt in Dresden, Helmut Renz.

Der Tod des kleinen Joseph A., Sohn eines Irakers und einer Deutschen, im Spaßbad „Dr. Petzold“ war vor zweieinhalb Jahren von der Staatsanwaltschaft als Badeunfall zu den Akten gelegt worden. Die trauernde Mutter sammelte jedoch über Jahre hinweg Aussagen von Zeugen, die an dem fraglichen Nachmittag am 13. Juni 1997 in dem Freibad anwesend waren. Schließlich erreichte die Mutter, dass die Augenzeugen auch von der Staatsanwaltschaft vernommen wurden. Aufgrund von zwei entscheidenden Zeugenaussagen am vergangenen Dienstag ergingen schließlich gegen drei Verdächtige im Alter von 20, 21 und 25 Jahren Haftbefehle.

Die Bild-Zeitung hatte die von der Mutter gesammelten Zeugenaussagen gestern teilweise veröffentlicht. Danach sollen am fraglichen Nachmittag etwa 50 Rechtsradikale in das Bad gekommen sein. Zwei bis drei Jugendliche sollen den dunkelhaarigen Joseph von seinem Handtuch gezerrt haben. Andere sollen ihn als „Scheißausländer“ beschimpft haben.

Laut Aussagen mehrerer Zeugen schleppten die jungen Leute den Kleinen dann zu einer Imbissbude. Sie hätten ihn mit einem Elektroschocker gequält und ihm eine Flüssigkeit in den Mund geschüttet. Danach sollen zwei Männer den Jungen ins tiefe Wasser geworfen haben. Joseph konnte nicht schwimmen und ging unter. Jugendliche aus der Gruppe sollen ihm ins Wasser nachgesprungen sein. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft sind sie „gezielt auf den im Wasser liegenden Körper des Jungen gesprungen“. Zum Zeitpunkt der Tat waren etwa 300 Gäste im Bad; niemand griff ein.

Die Staatsanwaltschaft Pirna hatte die ersten Ermittlungen zum Tod des Kleinen im Mai 1998 abgeschlossen und lediglich „Tod durch Ertrinken“ festgestellt. Die Eltern suchten jedoch nicht nur nach Zeugen, deren schriftliche Aussagen sie sammelten, sondern erwirkten zudem eine Blutuntersuchung des toten Jungen. Dabei stellten die Gerichtsmediziner fest, dass im Blut des Jungen „Ritalin“ enthalten war. Ritalin wird als Nervenmedikament hypernervösen Kindern verabreicht, es soll in der rechtsradikalen Szene aber auch als Ersatz für Ecstasy verwendet werden.

Wie Oberstaatsanwalt Renz sagte, ist bisher jedoch ungeklärt, ob die Verdächtigen aus dem rechtsradikalen Milieu stammten. Auch werde man möglicherweise weitere gerichtsmedizinische Untersuchungen veranlassen. „Die Ermittlungen werden länger dauern“, so Renz. Denn jetzt sollen Dutzende von Zeugen befragt werden, die am fraglichen Nachmittag in dem Freibad waren.

Der ortsansässige Pfarrer der katholische Gemeinde Kreuzerhöhung in Sebnitz, Norbert Mothes, erklärte gegenüber der taz, die Verhafteten gehörten nicht zum rechtsradikalen Milieu im Ort. Mothes äußerte sogar den Verdacht, die Belastungszeugen seien unter „psychischen Druck“ gesetzt worden.

Oberstaatsanwalt Renz widersprach dieser Auffassung. Bei den Vernehmungen der Zeugen hätte sich nicht bestätigt, dass sie vorher unter Druck gesetzt worden seien.

Das sächsische Sebnitz mit rund 10.000 Einwohnern gilt als ein Treffpunkt für Neonazis aus der Region. Die Familie des Jungen war vor Jahren aus Westdeutschland in den Ort gezogen und führt dort eine Apotheke. Die Mutter von Joseph A. sitzt für die SPD im Stadtrat.

Der Vater, Saad A., erklärte gegenüber der taz, die Apotheke sei schon seit längerem boykottiert worden und hätte viel weniger Umsatz gemacht als die beiden anderen Apotheken im Ort. Die Ortsansässigen hätten Aversionen gegen die zugereiste Familie gezeigt. Der Bürgermeister des Ortes war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

BARBARA DRIBBUSCH

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