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Das Tor ist demokratisch

Nach der Entscheidung der Innenminister soll das Brandenburger Tor für Demonstrationen tabu sein. Das verschärfte Versammlungsverbot trifft aber in der Mehrzahl die Falschen – und ein paar Rechte

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Die Entscheidung der Länderinnenminister, an „historisch und kulturell“ bedeutsamen Orten das Versammlungsrecht einzuschränken, trifft in Berlin mehrheitlich die falschen Adressaten. Nach Ansicht von Wolfgang Wieland, innenpolitischem Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Grüne, beträgt der Anteil rechter Aufzüge „nur etwa 1 Prozent“ der Demonstrationen in Berlin. Das von Innensenator Werthebach (CDU) initiierte Demonstrationsverbot bedeute deshalb die Entrechtung einer Vielzahl demokratisch gesinnter Protestierer.

Die Innenminister der Länder hatten gestern auf ihrer Konferenz den Bundesinnenminister beauftragt, einen Gesetzentwurf auszuarbeiten, um Demonstrationen an den symbolischen Orten zu verhindern. Begründet wurde der Vorstoß damit, dass Rechtsextreme das Brandenburger Tor, die Neue Wache und das geplante Holocaust-Mahnmal für ihre Aufzüge missbrauchten.

An Plätzen wie dem Brandenburger Tor zogen in der Vergangenheit sowie in diesem Jahr hauptsächlich Demonstranten auf, die mit der rechtsextremen Szene nichts am Hut haben. Nach Recherchen der taz nutzten das Brandenburger Tor in diesem Jahr über 95 Prozent „normale“ Demonstranten für mittlere und große Versammlungen und Kundgebungen.

60.000 Lehrer und Schüler zogen etwa Anfang April zum Brandenburger Tor für eine bessere Schulpolitik. Über 20.000 Ostermarschierer waren es Ende April. Im Mai demonstrierten gleich mehrfach mehrere hundert Menschen gegen Abschiebung und soziale Ausgrenzung von Flüchtlichen. Anfang Juni führte ein Zug von 5.000 Studenten als Aktion gegen Studiengebühren zum Tor.

Im selben Monat legte Greenpeace aus Protest gegen die russische Umweltpolitik das Brandenburger Tor lahm. Ebenso im Juni war der symbolische Ort Ziel von 500.000 Menschen mit ihrer Parade zum 22. Christopher Street Day. Im Juli strampelten Zigtausende „grüne Radler“ bei ihrer Sternfahrt zwischen den Säulen hindurch, gefolgt von bis zu 100.000 Skatern, die für eine bessere Verkehrspolitik über den Pariser Platz rauschten. Im Spätsommer und im Herbst war das Tor Ziel von 300 Hundefreunden, von Palästinensern, unterbezahlten Polizisten und den 200.000 Menschen, die am 9. November gegen rechts aufzogen. 1999 fanden in Berlin 2.400 Aufzüge statt. Angaben für 2000 machte die Polizei gestern nicht.

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