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Reden am Rande der Gruft

Auch am morgigen Totensonntag kann guter Benimm nicht schaden – einige Beispiele

Jetzt habe ich also noch zwei Benimmbücher gekauft. Eins hatte ich schon, dem konnte ich entnehmen wie zum Beispiel mit Hausangestellten umzugehen ist. Ratsam ist es, keine übertrieben vertraulichen Scherze mit ihnen zu treiben. Da ich zu übertrieben vertraulichen Scherzen neige, habe ich zum Glück keine Hausangestellten. Außerdem war mir bekannt, dass das Besteck von außen nach innen abgegessen werden muss. Wo ich aber immer wieder mal gern nachgesehen habe: der Handkuss. Merke – nur in geschlossenen Räumen und nie über den Tisch hinweg. Übrigens auch nicht unter dem Tisch. Diese Information nützt mir persönlich nicht viel, denn ich selbst habe seit langem keine Handküsse mehr gegeben, aber ich erinnere mich noch daran, als ich zum ersten Mal einen bekam – ich war so überrascht, dass ich nur „Ach was!“ zu dem betreffenden Herrn sagte.

In meinem zweiten Benimmbuch steht drin, wie man sich bei Nachbarn vorstellt, wenn man frisch eingezogen ist. Sie nehmen also Ihre Kinder mit und sagen: „Guten Tag. Wir sind Anna und Otto Lehmann. Dann haben wir noch Kinder, das sind der Tim, die Jessica und der Pascal.“ Das ist nur ein Beispiel. Sie müssen natürlich Ihre richtigen Namen sagen, und die Artikel können Sie bei den Kindern auch weglassen, und Ihre Kinder heißen hoffentlich anders.

Das dritte Benimmbuch ist eigentlich kein richtiges Benimmbuch, sondern enthält Reden für Trauerfälle. Achtung: Auch hier daran denken, die Namen auszuwechseln! Obwohl die Namen hier allesamt gelungen sind – Hermann Müller, der verhinderte Frontsoldat aus der Gießerei; Frau Sulzmann-Schwarz, die Gattin des Unternehmensberaters; Herr Adalbert Menger, der Kapitalist aus Tegernsee, und Karlheinz Meier, der wo? – in der Kesselstation in Bischofsheim seinen Verletzungen erlag. Sehr hübsch auch der Name des Postoberinspektors, der Ärztemafia oder des Vereinsbruders aus dem Turnverein. Aber sehen Sie selbst:

„. . . und wir sollten gerade in diesem Schmerz Herrn Dr. Walter vom Städtischen Krankenhaus für seinen selbstlosen medizinischen und menschlichen Beistand danken, den er ...“

„Auch du, liebe Inge, hast – fassungslos wie wir – erleben müssen, dass eine heimtückische Krankheit . . . Krebs! Diese Diagnose von Dr. Wiedenhof hat uns wie ein Schlag . . .“

„. . . uns so hilfsbereit und tröstend zur Seite standen: Herrn Doktor Ulrich für den ärztlichen Beistand, Herrn Pfarrer Sonn für die zu Herzen gehenden Worte am Grabe, dem Beerdigungsinstitut Schubert für die würdige Durchführung der Bestattung . . .“

„. . . der langjährige Mitarbeiter unserer Gießerei. Hermann Müller gehörte in diesem Betrieb zu den Männern der ersten Stunde. Er trat in einem Zeitpunkt in die Firma ein, zu dem viele Mitarbeiter an der Front ihren Dienst leisteten“ (ein Fakt, der etwas später noch als „diese unseligen Geschehnisse“ bezeichnet werden wird).

„Sehr geehrte Frau Sulzmann-Schwarz, verehrte Kolleginnen, liebe Kollegen . . . Herr Sulzmann war schon lange Jahre in freiberuflicher Beratertätigkeit unserem Unternehmen verbunden. Aus dieser Zeit stammte auch das Public-Relation-Konzept für unsere Firmengruppe, das auf die Inhaberfamilien so überzeugend wirkte, dass . . .“

„. . . in großer Trauer . . . Abschied von einer großen Unternehmerpersönlichkeit. Herr Dr. h.c. Adalbert Menger ist im Alter von nur 68 Jahren in seinem Ferienhaus am Tegernsee an den Folgen eines schweren Herzanfalles . .. Herr Dr. Menger hat die Allinvest-Firmengruppe zu ihrer heutigen Bedeutung . . .“

„. . . Karlheinz Meier, der an den Folgen der schweren Verletzungen . . . vor fast drei Wochen in der Kesselstation unserer Zweigniederlassung in Bischofsheim . . .“

„. . . Turnverein Stockstadt 1928 trauert mit Ihnen um unseren verdienten und beliebten Turnbruder Willi Stumpf, der . . .“ (auch Willi Stumpf ein Mann der allerersten Stunde, der nach dem Krieg für den Neuanfang in der Turnerschaft . . .)

„. . . unser Hansi ist tot. Er ist gestern abend auf der Rückfahrt von der Disco mit seinem Motorrad . . . und können uns das Leben in unserer Landjugend ohne unseren Hansi kaum vorstellen . . .“

Was man sich auch gar nicht vorstellen kann, das ist die Todesanzeige im Hamburger Abendblatt, die seine Firma Herrn Gustav Adolf Roepke spendete: „Roepke 2000, der Karton mit dem reißfesten Krempelgriff, wird weiterleben. Sein geistiger Vater aber Gustav Adolf Roepke ist leider am 7. Oktober von uns gegangen.“

Und liegt jetzt wahrscheinlich in seiner reißfesten Krempelgruft. FANNY MÜLLER

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