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Leere Sitze im Sonderzug

Gut ein Jahr nach dem Regierungsumzug nutzen immer weniger Pendler den Bonn-Shuttle. Immer mehr Bundesbedienstete ziehen an die Spree. 11.400 Arbeitsplätze stehen in der Stadt bereit, 60 Prozent der Bundesbeamten jobben weiter in Bonn

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Jeden Freitag um viertel nach zwei drängen sich auf dem Bahnhof Charlottenburg ein paar hundert anthrazitfarben, aber auch bunter gekleidete Menschen in den ICE nach Bonn. Sie alle haben Sondertickets für den Pendlerzug von Berlin nach Bonn in der Tache, der montags wieder an die Spree zurückfährt.

Doch in Panik, keinen freien Platz zu ergattern, braucht niemand der Bundesbediensteten auszubrechen. Sitze gibt es für die Pendler genug. Nicht anders sieht es jedes Wochenende am Flughafen Schönefeld aus, wo angesichts sinkender Passagierzahlen die vom Bund bestellten Extraflüge jetzt auf drei Starts reduziert wurden. Man fliegt und fährt mit halber Kapazität – ganz anders als noch 1999.

Gut ein Jahr nach dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin pendeln immer weniger Bundesbedienstete zwischen ihrem Bonner Wohnort und dem Arbeitsplatz an der Spree. Die Pendlerzahlen, so Kurt Westkamp, Mitarbeiter im „Stab des Umzugsbeauftragten“, seien „ganz erheblich zurückgegangen“. Die Erfolgsstory des Regierungsumzugs habe dazu beigetragen, dass sich die Bundesbediensteten in ihrer Mehrheit in Berlin ansiedeln.

Der Erfolg lässt sich in Zahlen messen. Von ursprünglich kalkulierten fast 6.000 Pendlern nutzen nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums nur noch rund 1.000 Personen die Shuttle-Linien auf der Schiene und in der Luft. Die Bundesbeamten und Angestellten der in der Hauptstadt ansässigen Bundesministerien, des Bundestags und Bundesrats folgten, wie in anderen Branchen auch üblich, ihrem Arbeitsplatz. Zudem biete Berlin für junge Beamte und Familien ein attraktiveres berufliches Angebot als die alte Bundeshauptstadt am Rhein. Das Verkehrsministerium rechnet damit, dass etwa der auf zwei Jahre bestellte Sonderzug wahrscheinlich früher eingestellt werden kann.

Ein weiterer Grund für den Rückgang der Pendlerzahlen ist, dass nach der Eröffnung der Länderkammer im Herbst in den Räumen des einstigen Preußischen Herrenhauses der Umzug von Regierung und Parlament abgeschlossen ist. Bis auf ein paar Kanzleramtsmitarbeiter, so der Umzugsbeauftragte, seien die im Bonn-Berlin-Gesetz verabredeten 11.400 Berliner Arbeitsplätze „nun alle da“. 8.200 davon seien in den Ministerien geschaffen worden. Durch die Tauschangebote innerhalb der Ministerien seinen real nur 7.500 Mitarbeiter vom Umzug direkt betroffen gewesen. Mit den Mitarbeitern nachgeordneter Behörden, wie der Bundeswehr, des Statistischen Bundesamts oder der Gauck-Behörde, kommt Berlin auf über 30.000 Bundesarbeitsplätze.

Obwohl sich noch immer 60 Prozent der Arbeitsplätze von Bundesbediensteten in Bonn befinden und hinter vorgehaltener Hand von einem Berlin-Sog gesprochen wird, will derzeit niemand offiziell vom „Rutschbahneffekt“ reden. Noch vor drei Wochen trat Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) diesen Spekulationen entgegen, als er sich für die Einhaltung des Umzugsgesetzes aussprach. Es bleibe dabei, dass die ersten Dienstsitze der Ämter für Verteidigung, Gesundheit, Umwelt, Entwicklungshilfe, Landwirtschaft und Bildung nicht aus Bonn abgezogen würden. Die Frage, warum sich der Bund in Berlin aber eine Vielzahl an Immobilien freihält, hat Schröder offen gelassen.

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