: Antirassismus-Gebot
Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft soll nach einer EU-Richtlinie zu nationalem Recht werden
von VERONIKA KABIS-ALAMBA
Guten Tag, wir sind vom Ordnungsamt. Kennen Sie diese Frau?“ Mit dieser Frage und der Kopie eines Passfotos in der Hand wollten zwei Beamte von Nachbarn eines binationalen Paares wissen, ob die eritreische Ehefrau denn auch immer brav nach Hause komme. Einen Anlass für eine solche fahndungsähnliche Aktion gab es nicht, doch weiß der Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e. V., von ähnlichen „Stichproben“, die die eheliche Lebensgemeinschaft binationaler Paare überprüfen. „Die Paare wenden sich empört, aber auch erschreckt an uns und fühlen sich dieser Diskriminierung hilflos ausgeliefert“, weiß Cornelia Spohn, Bundesgeschäftsführerin des Verbandes. Seit Jahren schon fordert die iaf deshalb ein Antidiskriminierungsgesetz, das eine Handhabe böte, gegen solche Willkür vorzugehen.
Nun hat, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, die Europäische Union den halbherzigen Diskussionen über die Notwendigkeit eines Antidiskriminierungsgesetzes in Deutschland ein Ende gesetzt, nachdem auch die Gesetzentwürfe von SPD und Bündnis 90/Grünen aus dem Jahre 1998 unberührt in der Schublade gelegen hatten. Der Rat hat im Juni dieses Jahres eine Richtlinie zur „Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft“ erlassen – und damit die Mitgliedsstaaten verpflichtet, entsprechende Vorschriften im nationalen Recht einzuführen. Ein weiterer Richtlinienentwurf zielt auf die Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund von Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexueller Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf.
Vor diesem Hintergrund und unter dem Druck der Rechtsextremismusdiskussion plant die Bundesregierung nun, wie aus dem Büro der Bundesausländerbeauftragten zu erfahren war, ein Antidiskriminierungsgesetz noch vor Ablauf der in der erstgenannten Richtlinie für Juli 2003 vorgeschriebenen Deadline zu verabschieden. Dabei soll gleich ein Gesamtpaket geschnürt werden, in dem die Diskriminierungstatbestände der beiden Richtlinien erfasst werden. Und damit steht eine große Aufgabe bevor.
In Deutschland gibt es nämlich, im Unterschied zu anderen Ländern, bislang keine Tradition der Antidiskriminierungsgesetzgebung. Lediglich zur Diskriminierung aufgrund des Geschlechts liegen einschlägige Gesetzgebung und Rechtsprechung vor. Ansonsten war es bei Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit meist nur möglich, über bestimmte Konstruktionen zum Ziel zu gelangen. Einem Diskothekenbesitzer, der Menschen anderer Hautfarbe nicht einlassen will, kann zwar im Prinzip die Lizenz wegen „Unzuverlässigkeit“ entzogen werden, das Verfahren aber ist umständlich und wenig bekannt.
Traurige Berühmtheit hat auch die Praxis von Taxiunternehmen erlangt, die ausdrückliche Kundenwünsche nach deutschen Taxifahrern akzeptiert hatten. Während in dem von türkischen Mitgliedern der Taxigenossenschaft angestrengten Gerichtsverfahren die erste Instanz diese diskriminierende Auftragsvermittlung als nicht zu beanstanden ansah, hat in der zweiten Instanz das Oberlandesgericht die Taxizentrale zur Unterlassung verpflichtet, weil es hier eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung und damit einen Verstoß gegen Artikel 3 Grundgesetz sah.
Durch ein Antidiskriminierungsgesetz hätte hier der aufwendige Gang durch die Instanzen vermieden werden können. Die neue Gesetzgebung soll nun ein zivil- und strafrechtliches Instrumentarium liefern, das insbesondere Schadenersatz, Wiedergutmachung und Schmerzensgeld im Bereich der ethnischen Diskriminierung vorsieht. Die Sache ist juristisch äußerst kompliziert, da etliche Gesetze geändert werden müssen. Denkbar ist deshalb ein Vorschaltgesetz, das den allgemeinen Diskriminierungsschutz festschreibt und diesen dann in Einzelgesetzen, wie zum Beispiel dem Wohnrecht oder dem Baurecht, verankert.
Rainer Nickel, Rechtsanwalt und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, befasst sich schon seit einigen Jahren mit der Frage des rechtlichen Schutzes vor Diskriminierung. Er begrüßt die beiden EU-Richtlinien nachdrücklich. Sie führten dazu, dass die bestehenden, äußerst lückenhaften Regelungen in vielen Bereichen verändert würden und teilweise völlig neue Vorschriften geschaffen werden müssten.
Die Richtlinie 2000/43/EG stellt zunächst einmal klar, welche Verhaltensweisen als Diskriminierung zu werten sind. Dabei sind erfreulicherweise nicht nur die unmittelbaren Diskriminierungen („wenn eine Person aufgrund ihrer Rasse oder ethnischen Herkunft in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person erfährt“), sondern auch die mittelbaren erfasst. Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, „wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen, die einer Rasse oder ethnischen Gruppe angehören, in besonderer Weise benachteiligen“. Weiterhin werden Belästigungen als Diskriminierung definiert, die die Würde der betreffenden Person verletzen, ebenso wie die Schaffung eines Umfeldes, das von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen oder Entwürdigungen gekennzeichnet ist.
Besonders erwähnenswert sei, so die Einschätzung von Rainer Nickel, dass die Umsetzung der Richtlinie die Möglichkeit eröffne, effektiver gegen Diskriminierungen vorzugehen. Bislang sind die Betroffenen häufig erfolglos geblieben, weil sie entweder die Diskriminierung nicht beweisen oder keinen konkreten Vermögensschaden vorweisen konnten. Die Richtlinie sorgt durch fühlbare Sanktionen in Form von angemessenem Schadenersatz und Schmerzensgeld für eine bessere Durchsetzbarkeit des Rechts auf Gleichbehandlung. Interessant für Lobbyorganisationen ist auch das in beiden Richtlinien vorgesehene Verbandsklagerecht. Dadurch wird es den Betroffenenverbänden ermöglicht, vor Gericht für die Betroffenen beziehungsweise in deren Namen zu klagen.
Diese Möglichkeit der Verbandsklage begrüßt auch die iaf. Cornelia Spohn weist darauf hin, dass gerade im Zusammenhang mit „Scheinehen“-Überprüfungen wie im Fall der Eritreerin eine solche Klage nicht nur dem einzelnen Paar den Rücken stärken, sondern auch deutlich machen würde, dass hier Gruppendiskriminierung vorliegt.
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