: Der Wahnsinn breitet sich aus
Auf welchem Weg deutsche Rinder mit BSE infiziert werden konnten, ist nach wie vor unklar. Ab Juli sollen Schnelltests für über 30 Monate alte Schlachtrinder Vorschrift sein. Rindfleisch in Supermärkten bleibt liegen
von KATHARINA KOUFEN
Wer gerade auf Stellensuche ist, sollte sich schnell noch zum Laboranten umschulen lassen. Das dürfte nächstes Jahr ein gefragter Beruf sein. Ab erstem Januar 2001 sollen alle Rinder, die krank sind und notgeschlachtet werden müssen, auf den BSE-Erreger getestet werden. Ab Juli werden dann Schnelltests für alle mehr als 30 Monate alten Schlachtrinder Vorschrift sein. Allein in Brandenburg soll deshalb die Zahl der Labore, die Rindfleisch testen, verachtfacht werden.
Die EU will ein Drittel der Kosten von 150 Mark pro Test übernehmen. Getestetes Rindfleisch wird schätzungsweise um 30 Pfennig pro Kilo teurer. Allerdings gaukeln die geplanten Tests eine Sicherheit vor, die illusorisch bleiben wird: Noch weiß man nicht, von welchem Zeitpunkt an infizierte Tiere mit Sicherheit erkannt werden könnten. Durschnittlich dauert es nach der Infizierung mit dem Erreger fünf Jahre, bis die Krankheit ausbricht. Die meisten Rinder landen aber auf dem Teller, bevor sie 30 Monate alt sind.
Der Virologe Albert Osterhaus schätzt, dass auf jedes entdeckte BSE-Rind zwei kranke Tiere kämen, die unerkannt durch die Kontrollen schlüpften. Osterhaus, der im wissenchaftlichen Lenkungsausschuss der EU-Kommission sitzt, geht davon aus, dass in Deutschland bereits infizierte Rinder geschlachtet und verzehrt worden seien. Das Risiko sei genauso groß wie in Frankreich.
Ob sich künftig überhaupt noch Käufer für nicht getestetes Rindfleisch finden, ist fraglich. Seit vergangenen Freitag zwei deutsche Rinder, eines aus Schleswig-Holstein, eines aus Sachsen-Anhalt, BSE-positiv getestet wurden, ist das Vertrauen in die heimische Produktion mehr als angeknackst. „Das habe ich nicht erwartet. Ich habe gedacht, die Kontrollen funktionieren bei uns“, sagte ein Freiburger Bauer, der selbst einige Schlachtbullen im Stall stehen hat, gestern der taz. Im Kieler Polizeizentrum Eichhof, von wo seit Freitag eine Hotline ins schleswig-holsteinische Innenministerium geschaltet ist, klingelt das Telefon bis zu 120-mal die Stunde.
Auch in einigen Supermärkten macht sich der „Super-GAU“ bemerkbar. In Berlins Nobelkaufhaus Lafayette etwa blieben gestern die Rinderfilets in den Kühltheken liegen. „Die Kunden weichen aus auf Geflügel oder Schwein“, erklärte Jerome Gauliard, der Leiter der Lebensmittelabteilung. Und: Wer auf sein Steak nicht verzichten will, kauft offensichtlich lieber beim Metzger seines Vertrauens. Verbraucherzentralen raten zu Öko-Fleisch – oder zu Verzicht.
Unterdessen hieß es gestern aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium, beim zweiten BSE-positiven Rind gebe es „vorsichtige Hinweise auf eine Verwechslung oder Umetikettierung“. Das Tier soll aus dem Stall des Bauern Hubert Aselmayer im sachsen-anhaltinischen Kamern stammen und auf die Azoren exportiert worden sein. Aselmayer sagte, er sei ahnungslos gewesen, bis am Freitagnachmittag ein Journalist anrief. Kurz darauf sei dann der Amtstierarzt vorbeigekommen. Nun darf kein Rind auf den Hof, keines ihn verlassen.
Der Bauer bangt um seine Existenz. Sollten seine 233 Rinder alle notgeschlachtet werden müssen, sei das „unser wirtschaftliches Ende“. Er und seine Frau hoffen, dass sie wenigstens wieder Milch liefern dürfen. Wie es zu der Erkrankung kommen könne, das ist für die beiden unerklärlich. Ständig werde die Herde überwacht und auf Krankheiten untersucht. Bisher habeman „noch nie“ Tiermehl verfüttert, immer nur Kraftfutter und Silage aus der eigenen Landwirtschaft. „Bis 1971 können wir die Herkunft der Herde nachweisen“, versichert Dörthe Aselmayer. Sachsen-Anhalts Landwirtschaftsminister Konrad Keller (SPD) bescheinigte dem Betrieb „gute fachliche Praxis“. Die Fütterung sei nachzuvollziehen bis zur Abgabe des Tieres. Keller kündigte an, ab nächster Woche würden alle Schlachtrinder über 30 Monate getestet.
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