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Vom Filze befreit sind Stadt und Ämter

Morgen debattiert die Bürgerschaft den Abschlussbericht des PUA Filz, der einem SPD-Phänomen nachspürte und es nicht fand. Weil er es nicht finden durfte. Eine Analyse von  ■ Sven-Michael Veit

Und das soll es nun gewesen sein? Diese 1923 Seiten, gedruckt in zwei Bänden auf chlorfrei gebleichtem Papier, amtlich regis-triert unter der Jubiläumsnummer 5000 der 16. Wahlperiode in der Geschichte der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg? Einmal noch wird drüber geredet werden, morgen nachmittag in der Bürgerschaft, und dann wird der Abschlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) Filz in Archivregalen verstauben.

Nicht einmal der treuherzig geäußerte Wunsch des Günter Frank, das Werk möge „Pflichtlektüre in Hamburger Behörden werden“, wird sich erfüllen. Dazu hat der Vorsitzende des Ausschusses zu gute Arbeit geleistet. Franks Aufgabe war es, keine Spur sozialdemokratischen Filzes in dieser Stadt zu finden. Seine Auftraggeber können mit ihm zufrieden sein.

Denn der offizielle Titel des Gremiums, das alle Nicht-Sozialdemokraten Filz-PUA nennen, lautet „Parlamentarischer Untersuchungsausschuss Vergabe und Kontrolle von Aufträgen und Zuwendungen durch die Freie und Hansestadt Hamburg“. Kein Wunder also, dass das Unwort nicht einmal in Frageform im offiziellen Bericht auftaucht. Lediglich in den beigefügten Minderheiten-Voten von CDU und Regenbogen, aber diese gerade mal 74 Seiten erfüllen kaum mehr als die ihnen zugedachte Alibi-Funktion.

Der Bericht, den kaum jemals jemand lesen wird – es sei denn, einige wagemutige DoktorandInnen der Politologie oder Jurisprudenz, der Verwaltungswissenschaften oder auch, besonders verheißungsvoll, der Sozialpsychologie – scheitert an der Fülle seiner Fakten. Nach zweieinhalb Jahren Arbeit, dem Studium von etwa 5000 Akten, dem Abhalten von 60 öffentlichen Sitzungen und rund 50 internen Besprechungen der Fraktionsobleute mit dem 12-köpfigen Arbeitsstab sowie der Vernehmung von mehr als zwei Dutzend Zeugen und Sachverständigen ist ein Konvolut enstanden, das sich in Details verliert.

Mannigfache regelmäßige und vorsätzliche Verstöße in der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS) gegen die Landeshaushaltsordnung und Beamtenrecht, gegen diverse Sozial- und Verwaltungsgesetze sowie gegen gesunden Menschenverstand und die guten Sitten listet das Werk akribisch auf. Auch von dem „reinen Aktenchaos in der Behörde“, von dem Zeugen zu berichten wussten, nahm der Ausschuss kopfschüttelnd Notiz. Da fand sich dann schon mal „plötzlich ein Karton voller Vorgänge auf dem Flur“, von dem nicht zu klären war, wer ihn wann woher geholt und dorthin gestellt hatte.

Das undurchsichtige Beziehungsgeflecht zwischen dauerregierender Sozialdemokratie und der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS) hingegen vermag der Bericht gerade wegen der überbordenden Faktenfülle nur ansatzweise zu lichten. Jenes magische Dreieck aus Parteibuchwirtschaft, Inkompetenz und Machtarroganz, das zu durchleuchten seine Aufgabe gewesen wäre, erhellt der PUA bestenfalls schemenhaft. Diese Aufgabe zu erfüllen fehlte den 14 Ausschussmitgliedern aus SPD, CDU, GAL und Regenbogen die wichtigste Voraussetzung: Der Konsens über das Erkenntnisinteresse.

Die CDU-Opposition – und auch der Regenbogen, der im Juni '99 hinzukam – löcherten zwar vor allem sozialdemokratische ZeugInnen mit Verve, allzu häufig aber mit dem Vorsatz, auf jeden Fall irgendetwas Belastendes zu finden oder zumindest zu konstruieren. Die Grünen, zu Beginn voller aufklärerischem Enthusiasmus, ließen sich nach mehreren handfesten Krächen mit der SPD von dieser in die Koalitionsdisziplin einbinden. Zwar fragten sie munter weiter, aber selbst um eindeutigste Schlussfolgerungen mogelten sie sich wortreich herum. Man müsse sich, was das Wörtchen „Filz“ beträfe, „nicht mit juristisch belanglosen Begrifflichkeiten aufhalten“, so die Erklärung.

Die mehrheitssozialdemokratische Mauer des Schweigens wurde nur in zwei Fällen gebrochen: Wenn es galt, prominenten Zeugen gefällige Stichworte zu liefern („Würden Sie uns bitte die Grundzüge der von Ihnen miterfundenen Neuen Arbeitsmarktpolitik der 80-er Jahre erläutern, Herr Bürgermeis-ter?“ – „Aber gern, Frau Abgeordnete.“) oder wenn SPD-PUA-Chef Frank meinte, hartnäckiges Bohren der Opposition unterbinden („Ich kann nicht erkennen, was Ihre Fragen mit dem Untersuchungsauftrag zu tun haben.“) und lieber sich selbst das Wort erteilen zu müssen.

Gleich im Dutzend, dies die zwangsläufige Folge, durften Zeugen in ihren Vernehmungen wahlweise unter umfassendem Gedächtnisschwund leiden oder ebenso ungestraft wie offensichtlich lügen, dass ihr Parteibuch schamrot anlief. „Das schärfste Schwert des Parlamentarismus“, wie politische Nebelkerzenwerfer Untersuchungsausschüsse zu nennen pflegen, wurde somit zum Sparschäler.

Helgrit Fischer-Menzel, so enthüllte dieser nach zweieinhalbjährigem Schaben immerhin, was eh nicht zu leugnen war, ist schuldig. Und Elisabeth Lingner erst recht. Ein bisschen irgendwie auch Uwe Riez und ein paar weitere „handelnde Personen“ in der BAGS und deren Umfeld. Der Prominenteste, Bürgermeister Ortwin Runde, bekommt den gewünschten Persilschein. Wozu hat denn die rot-grüne Koalition Ausschussmehrheit und Ausschussvorsitz, wenn sie nicht einmal den Regierungschef vor Lackkratzern in einem Wahljahr bewahren könnte.

Vom Filze befreit also sind Stadt und Ämter, bedauerlicherweise aber habe es das eine oder andere Fehlverhalten einzelner handelnder Personen gegeben. Doch schwarze Schafe, das ist bekannt, gibt es schließlich in den besten Familien.

Zum Beispiel Fischer-Menzel, die über ihre Ehegatten-Affäre stürzte und damit den PUA auslöste (siehe Kasten). Sie habe in ihren Vernehmungen vor dem Gremium „nicht immer einen glaubwürdigen Eindruck gemacht“. Ihr aktives Eingreifen in ein Vergabeverfahren zugunsten einer Stiftung, deren Geschäftsführer ihr Gatte ist, sei ein schwerwiegender Fehler gewesen. Es hätten Interessenkollisionen durch „Überschneidungen zwischen dem privaten und dienstlichen Bereich der Senatorin“ vorgelegen. Genau das wird gewöhnlich Filz genannt, aber nicht von diesem Ausschuss.

Wenig schmeichelhaft fällt das Urteil über Elisabeth Lingner aus. Als BAGS-Amtsleiterin war sie an dem fraglichen Vergabeverfahren ebenso direkt und veranwortlich beteiligt wie an der HAB-Affäre um ihren Amtsleiter-Kollegen Uwe Riez. In beiden Fällen habe Lingner, in der Öffentlichkeit bekannter als Synodalpräsidentin der Nordelbischen Evangelischen Kirche, mehrfach und uneingeschränkt versagt, so die Erkenntnis des PUA. Ihr „Führungs- und Entscheidungsverhalten“ zeichne sich durch das Fehlen jeglicher „konzeptionellen und zielführenden Problemlösungsstrategie“ aus. Mit anderen Worten: Geballte Inkompetenz im Amt, aber gottseidank kein Filz. Denn die Frage, was Frau Lingner für den dritthöchsten Pos-ten in der BAGS außer ihrem SPD-Parteibuch qualifiziert haben könnte, harrt noch immer ihrer Beantwortung.

Bei Uwe Riez zeigt sich der Untersuchungsausschuss milder: Der langjährige SPD-Bürgerschaftsabgeordnete kommt mit einer Missbilligung davon. Riez hatte als Geschäftsführer der HAB – der er übrigens geworden war, weil der damalige Sozialsenator Runde ihm den Job telefonisch und ohne Ausschreibung andiente – jahrelang mit der BAGS im Streit gelegen, weil er höhere Zuwendungen an den Träger forderte, als die Behörde bewilligen wollte. 1995 wechselte Riez auf einen Amtsleiter-Posten in die BAGS – auf Anregung von Senatorin-Gatte Peter Fischer, nebenbei – und wirkte verantwortlich an einem Bescheid über 260 Millionen Mark mit, in dem rückwirkend alle Forderungen akzeptiert wurden, die HAB-Chef Riez aufgestellt hatte.

Laut PUA-Bericht sei das zwar juristisch nicht ganz korrekt und überhaupt unschön gewesen, aber ein Skandal denn doch nicht. Obwohl man von dem Amtsleiter „eine höhere Sensibilität für grundsätzliche Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit“ hätte erwarten können.

Ein Befund, den der Untersuchungsausschuss auch für sich selbst gelten lassen muss. Vielleicht ist es von ParlamentarierInnen zuviel verlangt, die jeweilige Parteibrille abzusetzen. Dann aber muss die Konsequenz lauten, solche Gremien unter die Leitung hauptamtlicher RichterInnen zu stellen und Abgeordnete lediglich als Schöffen zuzulassen.

Denn Untersuchungen in eigener Sache, wen mag das wundern, führen eben zu viel Ausschuss.

„Endlich verlangten die Gelehrten, daß man doch nur Thatsachen sammlen sollte. Ihr Wunsch ward erfüllt; in allen Welttheilen trieb man Thatsachen auf, und bey dem Allem stand es um ihre Wissenschaft nichts besser. Sie bekamen einen vermischten Haufen loser einzelner Glieder, woraus sich durch keine Kunst ein Ganzes hervorbringen ließ; und indem sie bis zum Unsinn nach factis jagten, verlohren sie jedes andere Augenmerk, und wurden unfähig, auch nur einen einzigen Satz zu bestimmen und zu abstrahiren“:

Georg Forster, deutscher Universalgelehrter (1754 - 1794)

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