: Restrisiko im Stammhirn
■ In einem Hinterhof beim Michel liegt das Labor, in dem BSE zum ersten Mal an einem in Deutschland geborenen Rind entdeckt wurde
So sieht also BSE aus: Ein paar quadratische Flecken, schachbrettartig in mehreren nach unten verblassenden Säulen auf einer Art Röntgenbild angeordnet. „Das ist ein geradezu klassisches Muster eines BSE-Falls“, sagt Rainer Söller von der Firma Artus. Das ungeübte Auge schaut hilflos drauf und fühlt sich an etwas zwischen Schwangerschaftstest und Genom-Analyse erinnert.
Söller und seine Kollegen wissen dieser Tage kaum, wo ihnen der Kopf steht. Denn ihr Labor beherrscht als einziges im hohen Norden den BSE-Schnelltest. Reporter und Kamerateams rennen ihnen die Türen ein, der grüne schleswig-holsteinische Umweltminister Klaus Müller kam gestern extra aus Kiel zum Informationsbesuch, dabei können sich die 16 Mitarbeiter vor Arbeit nicht retten. Einen dritten Sicherheitsbehälter, in dem bei Artus biologisch riskantes Material analysiert werden kann, wuchten Arbeiter gerade durchs Treppenhaus.
In ihrem Labor, so groß wie ein geräumiges Wohnzimmer, können die Leute von Artus demnächst 1000 Gewebeproben am Tag tes-ten. Dazu entnehmen sie dem Stammhirn eines Rindes in einem Unterdruckschrank eine Gewebeprobe, die in einer Maschine, die aussieht wie ein kleiner Pürierstab, homogenisiert wird.
Ein Enzym zersetzt dieses Eiweiß, wobei nur die Prionen übrig bleiben, die den Rinderwahnsinn ausbrechen lassen. Die Masse wird mit Antikörpern versetzt, die mit einem weiteren Enzym verbunden sind. Wenn die Antikörper Prionen finden, an die sie andocken können, erzeugt das Enzym Licht, das die Molekularbiologen fotografieren.
„Ein Restrisiko bleibt“, warnt Artus-Geschäftsführer Ulrich Spengler. Denn es ist wenig wahrscheinlich, dass diese Methode BSE bei Rindern aufspürt, die jünger als 30 Monate sind – selbst wenn die Tiere infiziert sind. Weil ihre Analyse-Kapazitäten im Vergleich zu der gewaltigen Menge an Rindviechern so klein sind, konzentriert sich Artus deshalb auf die Erfolg versprechenden älteren Rinder. „Wir überlegen, einen Test zu entwickeln, der früher anschlägt“, sagt der Molekularbiologe Thomas Laue von Artus.
Umweltminister Müller erkundet bei seinem Besuch, ob und wie Artus mit dem schleswig-holsteinischen Landeslabor zusammenarbeiten könnte. Denn das Land ist dabei, eigene Test-Kapazitäten aufzubauen. Ab Ende nächster Woche werde es 50 Proben täglich bearbeiten können, verspricht ein Mitarbeiter des Ministers. In drei Wochen soll es soweit sein, dass 20 MitarbeiterInnen 200.000 Proben pro Jahr untersuchen können.
Die Molekularbiologen von Artus werden also noch auf absehbare Zeit alle Hände voll mit den BSE-Tests zu tun haben. Dabei ist diese Arbeit nur ein Nebengeschäft, das die Firma als eine Art Franchise-Nehmerin der Schweizer Firma Prionics betreibt, die den BSE-Schnelltest erfunden hat. Sonst beschäftigt sich Artus, ein Ableger des Tropeninstituts, mit der Entwicklung vereinfachter Tests auf Viren. Für die BSE-Tests sucht Artus jetzt alle Arten von LabormitarbeiterInnen und auch BiologInnen.
Gernot Knödler
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