: Sicher ist nichts: weder Gefahr noch Fleisch
Verbraucher können das Risiko nur minimieren: Billigfleisch aus Ländern mit laxen Kontrollen sollte man auf jeden Fall meiden
BERLIN taz ■ Die entscheidende Frage für deutsche Fleischesser ist auch die einzige, die derzeit sicher beanwortet werden kann: Ist deutsches, ist EU- Rindfleisch sicher? Die Antwort: sicher nicht. Unklar ist, wie gefährlich Rinder- und Kalbssteaks sind. Und diese Gefährdung wird nach derzeitigem Erkenntnisstand noch jahrelang schwer einzuschätzen sein. Denn ein BSE-Test auch für frisch infizierte Tiere ist noch nicht auf dem Markt, geschweige denn zugelassen. Also bleiben 60 Prozent der Schlachtrinder notwendigerweise ungetestet.
Das Tröstliche: Auch umgekehrt ist nichts sicher. Der jüngst erschienene große Untersuchungsbericht zu BSE der britischen Regierung hat noch nicht einmal ergeben, dass Tiermehl die Ursache für BSE ist und dass BSE durch Fleischverzehr wirklich auf den Menschen übertragen wird – zumindest nicht nach den üblichen statistischen Kriterien. Und die Briten müssten es besser wissen als alle anderen: Sie haben hunderttausende BSE-erkrankter Rinder, ähnlich viele ähnlich verendete Scrapie-Schafe und schon fast 80 Fälle der neuen, mit BSE in Verbindung gebrachten Variante der menschlichen Gehirnschwamm-Krankheit Creutzfeldt-Jakob in ihrem Land. Die nach den wahrscheinlich auslösenden Eiweißen so genannten Prionen-Krankheiten bei Rind und Mensch sind auf eine gemeinsame Ursache zurückzuführen, mehr ist nicht sicher, so die Wissenschaftler.
Für den Verbraucher ist das vielleicht interessant, bleibt aber theoretisches Geplänkel, wenn er vor der Wursttheke steht und entscheiden soll: wie viel Gramm wovon? Hier bleibt nur die Risiko-Minimierung. Billigfleisch aus Ländern mit notorischen Fleischpanschern wie Belgien oder andere, die sich weigern, ihre Futtermittelhersteller wirksam zu kontrollieren wie unter anderem die Griechen, sollte vom Speiseplan gestrichen werden. Das ist zunehmend möglich, weil EU-Etikette auf dem Rindfleisch das Schlachtland und bald auch das Herkunftsland angeben.
Doch auch die ach so ordentlichen Deutschen haben einigen Dreck am Stecken. Manche Tierfutterhersteller haben getrennte Anlagen für das Futter für Wiederkäuer (Rinder, Schafe) und Fleischfresser (Schweine, Geflügel). Aber beileibe nicht alle: Bei einer Kontrolle in Niedersachsen wurde zum Beispiel vergangenen Mittwoch tierisches Eiweiß in einem Milchleistungsfutter für Kühe im Mischfutterwerk Weser-Ems gefunden, und zwar in einer Konzentration von ein bis zwei Prozent. Es ist nicht erwiesen – aber solch eine Schlamperei könnte schon für die Infizierung von Kühen reichen. Schließlich beteuert der Bauer der ersten deutschen BSE-Kuh, Peter Lorenzen aus Holstein, er habe noch nie Tiermehl gefüttert und das Mineralfutter für seine Milchkühe immer aus einer regionalen Futterfabrik bezogen. Das könnte stimmen. BSE hat er trotzdem im Stall. Das Risiko, bei regionalen Betrieben BSE-Fleisch zu erhalten, dürfte trotzdem geringer sein als bei EU-weit verschobener Ware.
Bleiben noch die Biobauern. Da gibt es verschiedene Verbände mit verschiedenen Regeln. Allen gemeinsam ist, dass sie seit je Tiermehl in der Fütterung verbieten. Die Betriebe sind auch strenger kontrolliert als herkömmliche. So kommt zum Beispiel bei Neuland-Fleischbetrieben zweimal im Jahr ein Kontrolleur und nimmt Stichproben des Mineralfutters. Das Risiko ist dort also noch einmal geringer.
Vegetarier sind noch sicherer vor BSE – sollten sich jedoch mit Häme zurückhalten. Denn das viele nun für die Schweine- und Geflügelzucht verbotene Tiermehl wird sich einen Ausweg suchen. Und es wird schon jetzt bei Bio- wie bei konventionellen Betrieben als Dünger beim Gemüseanbau eingesetzt. Dabei handelt es sich zwar vor allem um Horn- und Haarmehl, aber sicher ist auch das nicht. Die Kriterien für die Seuchenabtötung in diesem Bereich sind viel laxer als für Tierfutter. Die Verbraucher könnten also noch manche Überraschung erleben, wenn die Forschungen in diesem Bereich wieder neue Erkenntnisse bringen. REINER METZGER
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