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Kleine und große Verweigerungen

Ob du nun auf'n Strich gehst, oder die Linde rauscht: Das B-Movie präsentiert im Dezember die St. Pauli-Filme „Rocker“, „Desperado City“ und „Kiez – Aufstieg und Fall eines Luden“  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

Die Filme erklären nichts, bleiben auf der Ebene der Phänomene. Wenn in Kiez eine Vierzehnjährige, abgehauen aus dem Mädchenheim, ohne weitere Umstände verkündet, sie werde jetzt anschaffen gehen, mag das für einen Moment wie eine Schwäche des Plots wirken. Die Ankündigung kommt so unwahrscheinlich daher wie zuvor die der Älteren, die in Knut, den Antihelden, verliebt ist und seinetwegen auf den Strich gehen will. Trash, Verharmlosung, Männerfantasien, denkt man für einen Moment. Bis klar wird, dass die beiden bloß ihre Chancen realistisch eingeschätzt haben, und es einfach zum Bereich des Möglichen gehört, auf diese Art sein Geld zu verdienen. Und eine Dritte, die „nur mit welchen kann, die sie auch gerne mag“ und wer weiß, woher ihr Geld bezieht, lässt eine Entscheidung deutlich werden, die noch in dieser Perspektivlosigkeit möglich ist. Psychologisiert wird hier nicht.

Walter Bockmayers Kiez – Aufstieg und Fall eines Luden ist einer von drei Filmen rund um die Reeperbahn, mit denen das B-Movie diesen Monat seine Goldgräberei nach Filmen in und um St. Pauli fortsetzt. In diesen Filmen ist bewahrt, wovon die RAF zu jener Zeit und mit ihr große Teile der dogmatischen Linken, die sich in marxistische Diskutierklüngel verzogen hatte, meilenweit entfernt waren: das Milieu der subproletarischen Kriminalisierten mehr oder weniger jugendlicher Provenienz, der Rocker, der Heimzöglinge, wie sie damals hießen, der Arbeitslosen und Kriminalisierten, mit dem Ende der 60er Jahre die schönsten Straßenschlachten geschlagen wurden.

Ob in Kiez 1983, Rocker 1972 oder Desperado City 1980, im St. Pauli-Setting dieser Filme konzentrieren sich die vielfältigsten Verweigerungstendenzen. Lehrlinge mit Wut im Bauch schmeißen ihre Ausbildung hin, nicht ohne vorher noch den Friseursalon gründlich mit dem Feuerlöscher zu bearbeiten oder sich im Supermarkt mit Ausgestelltem vollzufressen und zu randalieren. Klaus Lemke lässt in Rocker heftig um sich strampelnde junge Frauen von einem starken Polizeiaufgebot aus einer Wohngemeinschaft zerren – Abgehauene aus einem Mädchenheim, Pflaumenspeicher, wie es dort heißt, derweil im Stockwerk darüber eine Drogengang auf ihre Lieferung wartet, seelenruhig die Drogenfahndung mit Schäferhund über sich ergehen lassend.

Alle drei Filmer halten die Räume eng, die ihrer Protagonisten wie die ihrer Kamera, so schäbig wie die Kneipen und Pensionszimmer, die sie zeigen, dürfte ihr Budget gewesen sein, kaum einmal wird eine Person so ausgeleuchtet, dass sie nach dem Schnitt als die selbe zu erkennen ist. Soetwas wird oft und fälschlicherweise „Milieustudie“ genannt, dabei begegnen die Filme ihren Figuren gar nicht mit der sozialarbeiterischen Haltung, die der Begriff suggeriert und mit der zur gleichen Zeit viele Linke, meist Studenten, ihre „Randgruppenstrategie“ verfolgten. Wenn in Vadim Glownas Desperado City der Verlierer Skoda seiner neuen Freundin Liane offenbart, dass er einmal Student war, seiner Mutter zum Gefallen, nimmt sie's, die in einer Fischfabrik jobbt, gelassen: Loser bleibt Loser, man gehört zusammen. In Kiez macht Musik vom Schlagerkomponisten Lotar Olias („Snick-snack-Snuckelchen“, „Ich war ein Mädchen vom Hafen“) über Catharina Valentes „Kizmet“ bis zu zahlreichen Titeln von Die Partei die Durchlässigkeit der Szenen hörbar, und Lemke überrascht in Rocker mit Santana auf der Tonspur. „Was lernen Sie daraus?“, fragt Skoda am Ende von Desperado City, einen Polizeischuss in der Brust, denn er hat seines Vaters Bank ausgeraubt. Liane schüttelt den Kopf: „Nichts.“

Rocker: heute, Sa, 2.12. + So, 3.12.; Desperado City: 7., 9. + 10.12.; Kiez – Aufstieg und Fall eines Luden: 14., 16. + 17.12, jeweils 20.30 Uhr, Samstag auch 22.30 Uhr, B-Movie

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