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„Die Musik ist immer der Ausgangspunkt“

Der Weg ist der Stil: Mit „In the Mood for Love“ entwirft Wong Kar-Wai die Chronik eines doppelten Ehebruchs – und zeichnet das Bild einer Ära nach. Ein Gespräch in Hongkong über Essen, Orte, Zeiten und das Filmemachen

INTERVIEW: DANIEL BAX

Warten auf Wong Kar-Wai. Es ist heiß und schwül in Hongkong, das Hemd klebt am Körper, und die Sekretärin bringt ein Glas Wasser. Dann tritt der Regisseur zur Tür herein. In Lebensgröße wirkt er erstaunlich lang und schlaksig. Er führt den Besucher in sein Büro. Die Räume seiner Produktionsfirma Jet Tone sind hell und fast leer, ungewöhnlich aufgeräumt im Vergleich zu den sonst so verkramten Office-Waben der Stadt. Wahrscheinlich haben sie ein gutes Feng Shui.

Und noch eine Erwartung wird enttäuscht. Für jemanden, der durch schnelle und visuell mitreißende Filme wie „Chungking Express“ oder „Fallen Angels“ weltweit bekannt geworden ist, ist Wong Kar-Wai ein überraschend ruhiger Gesprächspartner. Er spricht langsam und bedächtig. Hinter seinem Schreibtisch steht ein großformatiges Filmplakat: Es ist ein Entwurf für den unvollendeten Film „Summer in Beijing“.

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taz: Was ist eigentlich aus „Summer in Beijing“ geworden?

Wong Kar-Wai: Wir haben vor mehr als drei Jahren mit den Dreharbeiten begonnen, bekamen dann aber Ärger mit der chinesischen Zensur. Sie mochte den Titel nicht. Und dass einige Szenen auf dem Tiananmen-Platz spielen sollten, kam für sie überhaupt nicht in Frage.

Sie hatten aber keine politischen Hintergedanken dabei ...

Nein, nein. Als ich 1994 meinen ersten Film in China gedreht habe, „Ashes of time“, da war ich für ein paar Wochen in Beijing. Mir fiel damals auf, dass immer mehr Hongkonger dort arbeiteten; sie bilden eine Art Mini-Hongkong in Beijing mit einer sehr eigenen Atmosphäre. Ich wollte zeigen, wie sich diese Plätze vermischen.

Wie strikt ist Chinas Zensur?

Leider gibt es keine eindeutigen Vorschriften – dann würde man ja wissen, woran man ist. Wenn du aber in einer Straße eine Alltagsszene drehst, dann fragen sie dich: Warum drehst du in dieser Straße und nicht in jener? Wir Filmemacher aus Hongkong werden sicher noch etwas Zeit brauchen, um uns in dieses Denken hineinversetzen zu können.

Sie haben dann mit der selben Besetzung ein neues Projekt begonnen ...

Darum hat es fast zwei Jahre gedauert, das Ganze abzuschließen. Wir mussten die Investoren überzeugen, und mit der Asienkrise mussten wir auch neue Geldgeber finden. Ein Alptraum. Als nächstes wollten wir dann einen Film über Essen machen: „Stories about Food“.

Über Essen?

Ja, es waren drei Geschichten. Eine davon war eine kurze Version von „In the Mood for Love“: Sie handelte von einem Mann und einer Frau, die in den 60ern Tür an Tür wohnen, zwei Nachbarn, die herausfinden, dass ihre Partner eine Affäre miteinander haben. Doch der Film wurde länger und länger, ein neuer Schlamassel drohte, und ich dachte mir: Vielleicht sollte ich besser nur eine Geschichte erzählen. So entstand „In the Mood for Love“.

Wollten Sie die soziale Rolle des Essens beleuchten?

Beim Essen geht es ja um mehr als das Essen an sich. Es geht um den Genuss, die Atmosphäre und darum, Leute zusammenzubringen. Mein Vater, der vor zwei Jahren gestorben ist, klagte immer, früher hätten sie drei Stunden damit verbracht, im Kreis der Familie zu Abend zu essen. Heute haben die Leute dafür immer weniger Zeit übrig. In Europa ist das ja auch nicht anders.

Warum spielt der Film in den 60ern? Mit „Days of Being Wild“ ist es das zweite Mal, dass Sie einen Film in dieser Zeit ansiedeln.

Ich kam mit fünf aus Shanghai nach Hongkong, das war Ende 1962. Das war für mich eine ganz besondere Zeit, und es war eine besondere Ära in der Geschichte Hongkongs. Viele Leute waren nach 1949 aus China gekommen, und die Leute aus Shanghai bildeten eine eigene Gemeinschaft. Sie lebten in bestimmten Gegenden, hatten ihre eigene Kultur, ihre eigene Sprache und sogar ihr eigenes Kino – sie hatten im Grunde nichts mit der lokalen Bevölkerung zu tun, man hielt sich voneinander fern. Jetzt, in der zweiten oder dritten Generation, hat sich das völlig aufgelöst.

Fühlten Sie sich aufgrund Ihrer Herkunft als Außenseiter?

Meine Eltern liebten Shanghai. Sie hatten nicht vor, für immer in Hongkong zu bleiben. Es war wie ein Transitraum für sie. In jener Zeit war es sehr verbreitet zu denken: Wenn es in China wieder besser läuft, dann kehren wir zurück. Und wenn es schlimmer geworden wäre, dann wäre man eben weiter gezogen. 1997 musste ich meinen Pass erneuern, und da wurde mir klar: Ich lebe schon seit 30 Jahren hier, das ist kein Übergangsstadium. Aber man kann diesen ersten Gedanken, dass es eben wie ein Transit ist, nur schwer überwinden.

In den 60ern bildete sich erstmals so etwas wie eine Hongkong-Identität heraus ...

Ja. Es war wie mit einem Fußballteam, das aus Spielern verschiedener Ländern besteht. Es braucht seine Zeit zusammenzufinden. „In the Mood for Love“ handelt von dieser Ära – und von ihrem Ende.

Wie wirkt sich die spezifische Zeit auf die Filmstory aus?

Damals hatten wir noch so etwas wie Nachbarschaft in Hongkong. Was diese beiden Leute zusammenhält, ist ihr Umfeld: Sie wollen vor den Nachbarn ihr Gesicht bewahren. Das einzige, was sie miteinander teilen können, ist ihr Geheimnis. Wenn sich die gleiche Geschichte heute ereignete, würde sie ganz anders verlaufen.

Ihre anderen Filme spielen meist im heutigen Hongkong. Wie, glauben Sie, reflektieren Sie die Stadt?

Ich denke, meine Filme handeln nicht von Hongkong, sondern vom Leben in Hongkong in verschiedenen Stadien. In „Chungking Express“ war die Stadt der Hauptdarsteller, ihre Straßenecken und Fast-Food-Imbisse. Die Leute, die sich an diesen Orten bewegen, waren nur die Nebendarsteller.

In Filmen wie „Chungking Express“ wirkt die Stadt viel düsterer als in der Realität ...

Ja, und viel leerer. Da scheint so viel Platz zu sein (lacht). Das liegt daran, dass ich lieber nachts drehe. Tagsüber sind einfach zu viele Menschen um einen herum.

Wie beginnen Sie die Arbeit an einem Film?

Die Musik ist normalerweise mein Ausgangspunkt: Sie gibt das Tempo vor. Bei „Happy together“ war es ein Tango, für diesen Film war es ein Walzer. Und wenn ich dann anfange, einen Film zu drehen, muss ich erst den Raum kennen, den Ort, das Umfeld. Aus einer simplen Straßenecke lässt sich ein langer Film machen. Also suche ich einen Ort, und dann überlege ich: Welche Menschen hängen hier ab, was ist der spezifische Klang dieses Ortes?

Und was kommt dann?

Also, wir haben eine Straßenecke und zwei Personen. Was machen die da? Was ist ihr Umfeld? Ich zeige eine Person und überlege mir: Wo wohnt sie? In einer Pension oder mit der Familie? Wenn die Person mit ihrer Familie zusammenlebt, wieviele Menschen wohnen dann dort gemeinsam unter einem Dach? Mutter, Großmutter, oder wäre das zu viel? Sollte er einfach nur mit seinem Onkel leben – und das wär’s dann? Und manchmal denke ich auch, man muss gar nicht zeigen, wo sie wohnt.

Wenn über Ihre Filme geschrieben wird, taucht oft das Wort „MTV-Stil“ auf ...

Hätte es schon in den Sechzigern MTV gegeben, würde man das vielleicht auch über die West Side Story sagen. Unser Stil ist der Weg, wie wir mit bestimmten Fragen umgehen: Wie können wir in dieser Umgebung drehen? Wie finanzieren wir uns? Wie können wir überleben? Ich hatte immer das Glück, mit Leuten zu arbeiten, die an unsere Filme geglaubt haben. Ich sage: uns, weil wir ein Team sind, auch wenn jeder seinen eigenen Job hat. Wären wir Jazz-Musiker, dann wäre es so, als würde ich eine Session geben und Leute darum bitten, vorbeizukommen und in meine Session einzusteigen

Sie arbeiten oft mit populären Stars des Hongkong-Kinos, deren Image Sie in Ihren Filmen allerdings kräftig gegen den Strich bürsten. Wie kommt das?

Für die ist das wie Urlaub. Wir bieten ihnen die Chance, einmal etwas anderes zu machen. Und mir macht es Spaß. Beim Film geht es um Überraschungen.

Entwickeln Sie Ihre Scripts während der Dreharbeiten ? Oder arbeiten Sie, wie so viele Regisseure in Hongkong, ohne Drehbuch?

Wir legen die Grundlinien des Films fest, bevor wir beginnen. Und dann gehen wir ins Detail und verändern sie von Tag zu Tag. Es ist deshalb extrem schwer, einen Film wie „In the Mood for Love“ zu drehen, der in den 60ern spielt: Man kann nicht einfach rausgehen und drehen.

Wie sind Sie vorgegangen?

Wir wollten den Film in einem klassischen Set drehen, mit Stativ, und wir wollten die Kamera immer hinter etwas verstecken – als würde einer der Nachbarn den beiden Hauptfiguren nachspionieren. Der Raum in Hongkong ist sehr eng, und in einem Set zu drehen deshalb schwierig. Außerdem hat die Stadt sich seit den 60ern radikal verändert. Wir haben die Produktion daher nach Bangkok verschoben und Teile in Kambodscha gefilmt.

Das Problem mit asiatischen Städten wie Hongkong und Singapur ist: Sie verändern sich zu schnell. Man hat keine Zeit, sich hinzusetzen und etwas zu genießen. Das war einer der Gründe, warum wir den Film gemacht haben: Wir wollten etwas festhalten, das uns sehr kostbar ist, und das verloren gegangen ist.

Warum sind die Ehepartner der beiden Hauptfiguren eigentlich nie ganz zu sehen?

Das hätte die Geschichte in eine andere Richtung verlagert: Dann wäre es wirklich ein Film über Affären geworden. Die Idee war ja ursprünglich, alle Aspekte, die Jahreszeiten etwa, durch das Essen zu strukturieren. Schon in der ersten Szene, in der die beiden Charaktere zusammenkommen, essen sie zusammen. Maggie weigert sich, mit dem Vermieter zu essen – er ist ein sehr netter Mann, gibt Partys in seiner Wohnung und möchte sie einladen, weil sie so oft alleine ist. Sie aber versucht, sich dem zu entziehen. Stattdessen geht sie zu einem Schnellimbiss, und dort trifft sie Tony. Später, als die beiden über die Affäre ihrer Partner Bescheid wissen, da sitzen sie zusammen in einem Coffeeshop. Ein Coffeeshop, das war zu jener Zeit ein Ort zum Essen, nicht zum Kaffeetrinken.

In Hongkong, scheint mir, geht man noch immer lieber ins Restaurant als in Bars – anders als etwa in Deutschland. Stimmt das?

Eine Bar ist wie ein Waschsalon. Man kann dort für ein paar Stunden eine gute Unterhaltung mit jemandem haben, und dann geht man nach Hause und vergisst die Leute wieder. Oder man hat eine romantische Affäre für eine Nacht, und das war’s. Mit jemandem essen zu gehen, ist etwas substantiell anderes: Da versuchen beide, etwas zu entwickeln – das ist verbindlicher. Es bedeutet, etwas zu teilen.

In Ihren Filmen kommt es häufig zu unvorgesehenen Begegnungen zwischen vorher fremden Menschen. Gibt es dafür einen Grund?

Ich bin nicht sehr gut darin, Freunde zu finden. Als Kind hatte ich immer Schwierigkeiten, mich mit anderen anzufreunden. Also habe ich nach Wegen gesucht, mich ihnen zu nähern. Es funktioniert aber nur in meinen Filmen (lacht). In meinem Alltag funktioniert das nie!

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Am Ende des Gesprächs verabschiedet sich Wong Kar-Wai mit einem freundlichen Händedruck. Als der Gast schon in der Tür steht, legt er eine CD auf. Es ist ein altmodischer chinesischer Chanson aus der goldenen Zeit des Shanghai-Kinos.

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