: Die Abschiebung wäre sein Tod
Mustafa C. hat Aids und Hepatitis C. Der Exjunkie bekommt die Ersatzdroge Methadon. Um das Heroin zu finanzieren, begann er zu klauen. Er kam in den Knast und verlor seine Aufenthaltserlaubnis. Der Anteil von MigrantInnen an HIV-Positiven steigt
von SABINE AM ORDE
Mustafa C. wühlt in den Papieren, die verstreut auf dem kleinen Tisch im Beratungszimmer liegen. Endlich hat er gefunden, was er sucht: ein Schreiben vom Landeseinwohneramt, das ihn zu einer Untersuchung zum Polizeiärztlichen Dienst zitiert. Dort soll am 18. Dezember überprüft werden, ob Mustafa C. reisefähig ist. Aufgeregt hält er den Brief Christiane Cameron hin, der Psychologin, die ihn betreut. „Die wollen mich in die Türkei abschieben“, sagt C. „Das würde meinen Tod bedeuten.“
Mustafa C. ist krank, schwe krank sogar. Der 35-Jährige hat Aids, dazu eine chronische Hepatitis C. Seit vielen Jahren wird er mit einer Kombination zahlreicher Medikamente behandelt, die er mehrfach täglich eingenehmen muss. Außerdem wird C., der acht Jahre lang Heroin genommen hat, mit dem Ersatzstoff Methadon substituiert. Beide Behandlungen, weiß seine Betreuerin Cameron, wären in der Türkei nahezu unmöglich.
Diese Einschätzung teilt auch Birol Isik. Isik arbeitet als Sozialarbeiter bei Aids Danisma Merkesi, einer Aids-Beratungsstelle in Kreuzberg, die sich speziell an TürkInnen und AraberInnen wendet. „Ich weiß von vielen solchen Fällen, das ist bei weitem kein Einzelfall“, sagt Isik. Offizielle Zahlen aber gebe es nicht. „Wir fordern seit langem, dass Menschen mit Aids nicht abgeschoben werden.“
Diese Forderung könnte für immer mehr Menschen lebenswichtig werden. Denn der Anteil der Nichtdeutschen an den HIV-Infizierten und Aidskranken in Berlin nimmt zu. Insgesamt haben sich in der Stadt seit Ausbruch der Krankheit 13.000 Menschen mit dem HIV-Virus infiziert, 2.600 Menschen sind an Aids gestorben. Bei den neudiagnostizierten HIV-Infektionen ist nach Angaben des Robert-Koch-Instituts der Anteil der Nichtdeutschen von 2,2 Prozent 1993 auf 9,9 Prozent 1999 angestiegen. Betroffen sind vor allem MigrantInnen aus Ländern in Schwarzafrika, der Karibik und Südostasien.
„Der Anteil der Türken ist gering“, sagt Isik. Doch der Sozialarbeiter befürchtet, dass er weiter steigt. Noch immer gebe es zu wenig Aufklärungsmaterial in den Muttersprachen der EinwanderInnen. Ihnen fehle aber auch das Bewusstsein für die Immunschwächekrankheit. „Außerdem ist Sexualität in dieser Gruppe noch immer ein Tabu.“ Deshalb werde sie von der Prävention bislang kaum erreicht.
Auch Mustafa C. wusste vor seiner Erkrankung kaum etwas über Aids. Er ist ein schmaler, blasser Mann, der seit 28 Jahren in Berlin lebt. Als Siebenjähriger kam er mit seiner Familie an die Spree, fast sein ganzes Leben hat er in Neukölln verbracht. Der Vater ist längst in Rente, die Mutter muss noch ein Jahr arbeiten, dann kommt der lang ersehnte Ruhestand. An ein Zurückgehen in die Türkei denkt in der Familie niemand mehr. Mustafa C. kennt das Land nur von einigen wenigen Urlaubsreisen. Am Anfang ging alles glatt. Mustafa ging auf die Grundschule, dann aufs Gymnasium. Nach der Mittleren Reife begann er eine Ausbildung als Technischer Zeichner. Doch irgendwann brachten seine Kumpel Pattex mit, das sie gemeinsam schnüffelten. Andere Drogen kamen hinzu, 1988 schließlich das Heroin. Um das Geld für den Stoff zusammenzubringen, fing Mustafa C. mit dem Klauen an. Diebstahldelikte und Drogenbesitz brachten ihn schließlich in den Knast: 24 Monate saß er in der Justizvollzugsanstalt Tegel ab. „In Tegel hab’ ich mich mit HIV infiziert“, ist C. sich sicher. 1996 wurde der Virus diagnostiziert, inzwischen ist die Immunschwächekrankheit ausgebrochen.
Mit der Gefängnisstrafe verlor er aber auch seine Aufenthaltserlaubnis, die vorher zwar stets befristet, aber sicher war. Von der JVA Tegel ging es gleich in den Abschiebeknast. Aus Panik vor der Abschiebung stellte C. einen Antrag auf Asyl. Der wurde später zwar abgelehnt, doch man entließ ihn aus dem Abschiebegewahrsam. Seitdem hat er nur noch eine Duldung, die alle paar Monate verlängert werden muss. Die derzeitige läuft im Januar aus. Eine Aufforderung zur Ausreise hat C. bereits bekommen.
C.s Anwalt Martin Robert kann sich nicht vorstellen, dass sein Mandant wirklich das Land verlassen muss. „Ich gehe davon aus, dass der Polizeiärztliche Dienst die Diagnose der Charité bestätigt“, sagt Robert. Der behandelnde Arzt der Charité hat sich für eine Aufenthaltserlaubnis für C. stark gemacht. In seinem Attest heißt es: „Eine Abschiebung in die Heimat würde das Therapieende bedeuten, was einem Todesurteil gleichkommen würde.“
Wenn der Polizeiärztliche Dienst, der in der Vergangenheit häufig mit drastischen Diagnosen aufgefallen ist, allerdings zu einer anderen Einschätzung kommt, will Robert ein Bleiberecht für Mustafa C. erstreiten. „Dann werden wir alle rechtlichen Mittel einsetzen.“ Sein Mandant aber denkt nur noch bis zum 18. 12. Er hat Angst vor dem Termin beim Polizeiärzlichen Dienst.
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