: Die Wüste groovt
Kapverdischer Kuschelrock auf baren Füßen: In der Berliner Philharmonie sang Cesaria Evora lachend den Winter für das Weltmusikbürgertum ein
von ANDREAS BECKER
Auf der Radfahrt vom Brandenburger Tor durch den dunklen Tiergarten zur Philharmonie fällt sie ins Auge, die neue Machtverteilung des Berliner Stadtraums. Die leuchtenden Zeichen von Sony, Sanofi und DB überstrahlen bei weitem die monolithischen Kulturbrocken, die früher das „freie“ Berlin markierten. Die Philharmonie 2000 im Abseits als sicherer Ort. Kein schlechter Platz für eine Sängerin von den Kapverden. Denn die repräsentiert recht anschaulich den neuen Typ Musiker des globalen Dorfs. Den schick, aber leger gekleideten Weltmusikbildungsbürgern, die für 65 Mark in den Tiergarten strömen, ist anzumerken, dass sie sich auf ein Konzert freuen, das ein wenig Übersicht ins hektische Chaos bringen soll, für das man seine Umwelt gerne hält. Cesaria Evora ist die Beruhigung zum Feierabend, der Kuschelsound gewordene Kaminersatz des Dachgeschossbewohners.
Die Inselgruppe, 500 Kilometer westlich des Senegals, beheimatet den Shooting-Star des gleichmütigen Gesangs. Cesaria Evora, knapp 60, wird von Kritikern auch schon mal die „barfüßige Diva“ genannt. Da sie von den Attributen, die man sonst Dritte-Welt-Sängerinnen andichtet, kaum welche zu besitzen scheint – sie ist einfach nicht sexy oder erregend exotisch, eher sieht sie nach stinknormaler Mutter und Hausfrau aus –, einigt man sich eben auf ihre Schuhlosigkeit. Das aber hat natürlich was richtig knackig Down-to-earth-Mäßiges.
Auch in Berlin tritt Cesaria Evora nacktfüßig in den heftigen Applaus hinaus. Der starke Wille zur Kontemplation treibt dem Höhepunkt entgegen nach der ebenfalls kapverdischen Vorband von Teofilo Chantré. Da trinkt man erst mal eine nicht ganz billige Himbeerbowle oder einen perligen Sekt – kaum jemand säuft Bier aus der Flasche.
So gestärkt, bejubelt man schon das eher schwachbrüstige Intro der zehnköpfigen Band ohne Cesaria stürmisch. Als die rundliche Madame im langen Schwarzen dann auf die Bühne tüdert und ihren derzeitigen Hit „Sodade“ anstimmt, fangen die ersten weiblichen Fans auch schon an, auf den verwinkelten Philharmonie-Absätzen zu grooven. In der ersten Stunde des Konzerts macht Cesaria Evora keinerlei Ansagen, nicht einmal ein klitzekleines Obrigado entgleitet ihrem sonst so harmonisch sich einschmeichelnden Stimmorgan. Stattdessen quittiert sie stärkeren Applaus mit einem herzhaften Lachen, manchmal ruft sie etwas am Mikro vorbei in die vorderen Reihen und lacht dann noch heftiger. Man selbst ist derweil längst von einer fast schwermütigen Stimmung befallen, die vom Fado-Anklang in ihrer Musik herrühren mag. Neben diesen portugiesischen Einflüssen der ehemaligen Kolonie hat der Evora-Sound aber auch etwas von einer Brise Brasilien und dazu noch einen mit dem Wüstensand herübergewehten Rhythmus. Die Tänzerinnen im Publikum schwingen zärtlich ihre Hüften aneinander, Pärchen stecken Köpfe zusammen, und Hände verwurschteln sich erneut.
Der Zeit ist die Evora eine ganze Seite wert. Dort entlarvt Thomas Groß den Mythos um die Sängerin als weiteres, erfolgreich gestricktes „Globalisierungsmärchen“, fällt aber auch drauf rein. Tatsächlich hängt einem nach diversen handwerklich recht ähnlich und schlicht angelegten Langsamsongs die Sehnsucht nach Geborgenheit zum Hals raus. Schön ist noch die Rauchpause, die Evora am Tischchen auf der Bühne einlegt. Relaxt gießt sie sich ein Wässerchen ins Glas und bläst Rauch in die spartanisch beleuchtete Bühnenluft, und die theatralische Komponente ihrer Erfolgsgeschichte wird sichtbar. Dann aber geht's in die zweite Halbzeit, und der Saal kuschelt sich endgültig für den Winter ein. Wer jetzt noch keine Evora-Platte hat, wird lange keine haben.
Die nächsten Konzerte von CesariaEvora: 1. 12., Karlsruhe, 3. 12., Bonn
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen