Verwickelgeschichte: „¡Entusiasmado“
■ Architektennachlass von Argentinien über Bremen nach Augsburg
Heinrich Lömpel, 1877 bis 1951, Architekt der berühmten Jugendstil-Synagoge in Augsburg, Architekt der Frankfurter Messe und der Hannoverschen Stadthalle, wegen fehlender Aufträge 1923 nach Argentinien emigriert, wird nun per Nachlass wieder nach Deutschland zurückkehren. Nach Augsburg genauer gesagt. Und was hat das mit Bremen zu tun?
Bremen steht im Zentrum verwickelten Geschichte, die vor elf Jahren mit einem Fernsehbeitrag begann. Theo Schlüter, Moderator der Radio Bremen Sendung ,Bremen 2000' reiste auf den Spuren Silvio Gesells, eines deutschen Ökonomen, nach Argentinien. Gesell, während der ersten Münchner Räterepublik Finanzminister, wartete mit einer Theorie des Geldes auf, die auch schon damals revolutionär war: Er schlug eine Währung des „verlorenen Geldes“ vor, das ist das Gegenteil von Zinswirtschaft. Wer sein Vermögen nicht sofort in Realwirtschaft steckt, bekommt jährlich fünf Prozent abgezogen.
Charmant, charmant, aber leider ist das nur eine von vielen Nebengeschichten, bei denen man auf dem Weg zum Nachlass Heinrich Lömpels am liebsten verweilen möchte.
Gesell jedenfalls wanderte nach Argentinien aus, und auf seinen Spuren landete der Journalist Schlüter in einer argentinischen Stadt mit Namen Villa Gesell. Der Sohn des Ökonomen ist ihr Gründer und hatte zum Aufbau in den 40er Jahren einen Architekten gesucht – und eben jenen eingewanderten Heinrich Lömpel gefunden. Lömpel, der in der Nähe der Stadt wohnte, hatte alle Dokumente seiner beruflichen und privaten Vita bei sich: Fotos, Zeichnungen der Synagoge, Briefwechsel etc. Nach seinem Tod landete das Material bei Osvaldo Bevacqua, Architekt und Bewunderer Heinrich Lömpels, wohnhaft in Villa Gesell. Den traf bei seinen Recherchen Theo Schlüter.
In der Zwischenzeit hatte Agnes Maria Schilling, Mitarbeiterin am Augsburger Museum zufällig eine Nichte Lömpels getroffen, die in Füssen/Bayern lebt und aus dem Fernsehbeitrag von der Stadt Villa Gesell erfuhr. Agnes Maria Schilling nahm Kontakt zu Bevacqua auf – allein, es fehlte das Geld, um den Nachlass nach Deutschland zu schaffen. Also rührte Theo Schlüter in Bremen die Sponsorentrommel („wär' doch gelacht, wenn wir den Bayern nicht finanziell unter die Arme greifen könnten“) und fand den Unternehmer Bernd Artin Wessels von der Atlanta-Gruppe, Vizepräses der Handelskammer. Der zahlte prompt (Schlüter: „Gut, dass aus der Theorie des verlorenen Geldes nichts geworden ist“). Und so konnte gestern die Nachricht präsentiert werden (Schlüter: „Ich bin enthusiasmiert, wie der Argentinier sagt“): Der Nachlass wird ins Augsburger Museum geschafft – nicht ohne in Bremen eine Spur zu hinterlassen. Zunächst sollen Fotos und Zeichnungen im Instituto Cervantes gezeigt werden, und Verleger Horst Temmen wittert ein neues Buch-Thema: Die Geschichte deutscher Emigranten in Südamerika. Elke Heyduck
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