tribünen etc.: Sadat in Ludwigsfelde
W 50
Der Motorroller Troll wurde in Ludwigsfelde bis in die 60er-Jahre gebaut. Dann kam der W 50, Bauern hatten sich beschwert und wollten einen besseren Lastwagen. Entwickelt wurde der Fünftonner in Werdau, daher das W, die 50 bezog sich auf das Ladegewicht. Ein neuer Beschluss bestimmte Ludwigsfelde zum Fabrikationsort, eine riesige Werkhalle entstand, Wohnblöcke, Kindergärten, Kaufhallen, mit dem ersten Laster vom Band durfte Ludwigsfelde sich Stadt nennen. Sogar Automobilbauerstadt, es bekam ein Wappen in Form eines ausgebauchten Motorzylinders.
Meine Mutter arbeitete beim Rat der Stadt, der in einer Holzbaracke residierte, mein Vater im Autowerk am Band. Da verdient man gut, sagte er, und man hat seine Ruhe. Er erzählte gern den Witz: „Arbeitest du am Band?“ „Nein, ich darf frei rumlaufen.“
Unsere Klasse bekam schulfrei. Wir bekamen Fähnchen ausgeteilt, weiße Friedenstauben an Holzstangen, Papierblumen, Bilder von Honecker und Sadat. Dann standen wir gemeinsam mit den Kindergartengruppen und Schulklassen an der Hauptstraße und waren aufgeregt. Erich Honecker würde kommen. Ich stellte mir vor, wie der ältere Herr mit seinem Trabbi die Straße entlang fahren würde, womöglich sogar hupen. Doch nein, Honecker, der würde bestimmt Wartburg fahren, vielleicht sogar einen W 50?
Polizeimotorräder mit Blaulicht fuhren vorüber, dann sehr schnell mehrere große schwarze Volvos. In einem sahen wir den lächelnden, braun gebrannten Araber, der dünner und lustiger aussah als auf den Fotos, die wir hochhielten. Von Erich Honecker sah man nur die Hand, die durch den Spalt über der etwas heruntergelassenen dunkel getönten Scheibe winkte. Mein Vater stand währenddessen schon mit seiner Brigade zur Ankunft der Staatsgäste auf dem Werkgelände bereit. Kraftfahrer! Auf diesem Gelände gilt die StVO!
Abends war es in den Nachrichten zu sehen, „Aktuelle Kamera“, Honecker und Sadat nahmen auf einer Tribüne Platz. Auf der Freifläche davor fand die Vorführung der verschiedensten Versionen des W 50 in Form eines Balletts statt. Allradversion, kippbare Ladevorrichtung, Bagger und die Feuerwehr mit ausfahrbarer Leiter beeindruckten den befreundeten Regierungschef genauso wie die vielen Fahnen und Transparente, sogar in Arabisch! Er bestellte zum Testen erst mal einen Laster.
Einige Wochen später war das Bild des Arabers wieder in allen Zeitungen, nur hatte nun sein Bild einen Rahmen aus dicken schwarzen Balken.
Ich stellte mir vor, wie Sadat zurück in seinem Heimatland war, in Ägypten mit Pyramiden vor gelben Sand- und Geröllflächen statt märkischen Kiefern. Die Tribüne in Ludwigsfelde musste ihn so gerührt haben, dass er sich eine ebensolche bauen ließ. Zufrieden muss Sadat auf dem Ehrenplatz gesessen haben, der bestellte W 50 muss als Beginn einer Militärparade herangerollt sein. Die Plane auf der Ladefläche wird zurückgeschlagen: seine Leibwache, mit Maschinengewehren bewaffnet. Sie eröffnen das Feuer auf den Diktator, der verblutend beschließt, keine weiteren W 50 zu bestellen. FALKO HENNIG
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