Ins Leere applaudiert

Der europäische Film ist derzeit besser, als die Pariser Zeremonie des europäischen Filmpreises vermuten lässt

Star des Abends war sowieso der Eiffelturm. Ein riesiger stählerner Christbaum, der die Zeremonie im Palais Chaillot souverän mit Millionen Glühbirnchen überstrahlte. Draußen nieselte der Regen über der Seine, und drinnen nieselten die europäischen Filmpreise. Statt sich solidarisch aneinander zu kuscheln, applaudierte das versammelte Filmvolk höflich vor sich hin und ein bisschen ins Leere. Zum einen, weil Lars von Triers „Dancer in the Dark“ alle Preise abräumte (zwei Publikumspreise, Hauptpreis, Auszeichnung für Björk als beste Darstellerin) und sie so verdient hat, dass es schon wieder langweilig war; zum anderen weil keiner da war, um sich feiern zu lassen. Selbst Björks Mitspielerin Catherine Deneuve, für die das ganze eine Art Heimspiel gewesen wäre, blieb fern.

Zu klein, zu groß, mal Familientreffen im Berliner Spiegelzelt, mal aufgeblasenes Oscar-Imitat – seit jeher versucht der Europäische Filmpreis den Spagat zwischen dem Glamour einer einigermaßen ans Fernsehen zu verscherbelnden Performance und dem, was er eigentlich repräsentieren soll: einen bunten Filmhaufen aus hybriden Formen, verschiedenen Sprachen und noch zu entdeckenden Gesichtern. Immerhin, die Voraussetzungen sind besser denn je. Eine veränderte Kino- und Verleihlandschaft wirft viel mehr europäische Produktionen auf den Markt, die Koproduktionen boomen (Lars von Triers Film wurde, kein Witz, von 28 europäischen Ländern gefördert), und die Regisseure schließen das Publikum in ihre Visionen mit ein.

Den nominierten Filmen gelang in diesem Jahr nämlich genau die Gratwanderung zwischen regionaler Couleur, persönlicher Handschrift und internationaler Marktchance, nach der die Branche bei solchen Anlässen seit Jahren schreit: In „Billy Eliott“ erfüllen sich die Ballettträume eines Proletarierkindes vor dem Hintergrund der nordenglischen Minenstreiks, in „Lust auf anderes“ wird die französische Provinz zum Schauplatz einer humanen Komödie über Vorurteile und Künstlerdünkel, im Animationsfilm „Chicken Run“ ergackern sich britische Hühner die Freiheit (aus Deutschland schaffte es kein Film in die engere Auswahl).

Zu jeder anständigen Veranstaltung gehört heute auch ein Symposium. Also durfte Sonntagsprediger Wim Wenders als Präsident der europäischen Filmakademie die Angst vor der neuen Technologie beschwichtigen („Das Digitale darf uns nicht die Gefühle nehmen...“). Und während die einen große Reden schwingen, nehmen andere die kleine Digi-Kamera und ziehen los. Agnès Varda hat mit „Les glaneurs et la glaneuse“ („Die Sammler und die Sammlerin“) einen zutiefst persönlichen Essay über die französische Tradition des Sammelns von Abfall und ausrangierten Gegenständen gedeht. Nebenbei geht es natürlich auch um das Kino und das Sammeln von Bildern. Dafür gab’s dann auch zu Recht den Preis für den besten Dokumentarfilm und den einzigen wirklich warmen Applaus. ANKE LEWEKE