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Behandlungsstopp für arme Kranke?

Vor allem bei sozial Schwachen verweigern Ärzte am Ende des Jahres unter Hinweis auf die Gesundheitsreform eine angemessene Behandlung. Der Kongress „Armut und Gesundheit“ fordert, diesen Missstand endlich abzustellen

BERLIN taz ■ Ausgerechnet sozial Schwache sollen unter der Gesundheitsreform der grünen Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer leiden. Bei 25 Prozent der Patienten verweigerten Ärzte am Ende des Jahres eine angemessene Behandlung, da das Budget aufgebraucht sei. Betroffen seien vor allem sozial Schwache, kritisierte der Arzneimittelforscher Professor Gerd Glaeske vom Bremer Zentrum für Sozialpolitik am Wochenende auf dem 6. bundesweiten Kongress „Armut und Gesundheit“.

Andrea Fischer konterte: Wenn dem so sei, liege es nicht an der Reform, sondern an deren Umsetzung in den Arztpraxen. Denn unter dem Strich hätten die gesetzlichen Krankenkassen nach der Gesundheitsreform nicht weniger Geld als zuvor zur Verfügung. Allerdings sei es richtig, dass die medizinische Versorgung von sozial Schwachen ein „Stiefkind der gesundheitspolitischen Diskussion“ sei.

Seit sechs Jahren versuchen die jährlich stattfindenden Kongresse „Armut und Gesundheit“ der Landesarbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung, „Gesundheit Berlin“, eine öffentliche Diskussion über die mangelhafte Versorgung sozial schwacher Kranker anzustoßen.

„Gesundheit Berlin“ gehören neben Krankenkassen und der Berliner Ärztekammer auch Vertreter von Gesundheitsberufen an. „Unsere Forderung geht an Politik und Krankenkassen: Bitte sorgt dafür, dass dieser Missstand abgestellt werden kann“, sagte der Vorsitzende des Vereins „Armut und Gesundheit in Deutschland“, Gerhard Trabert.

Arme Menschen haben ein doppelt so hohes Risiko schwer zu erkranken und eine um etwa sieben Jahre geringere Lebenserwartung.

Im vergangenen Jahr nahm Gesundheitsministerin Fischer zum ersten Mal an dem Kongress teil. Was sie seither politisch erreicht hat, ist mager: Eine Arbeitsgruppe wurde eingesetzt und eine Änderung ins Sozialgesetzbuch geschrieben. Dessen neu gefasster Paragraf 20 fordert dazu auf, gesetzliche Leistungen sollen zur Minderung der sozialen Ungleichheit beitragen. „Es hat sich eine Menge verändert, aber ich bin noch nicht damit zufrieden“, sagte Fischer.

Überall auf der Welt sind sozial Schwache nicht nur wegen schlechter medizinischer Versorgung kränker als Wohlhabende. Die Erkrankungshäufigkeit und Lebenserwartung in den reichen Industrieländern würden nur zu rund 20 Prozent durch eine verbesserte medizinische Versorgung beeinflusst, betonte Professor Rolf Rosenbrock vom Wissenschaftszentrum Berlin.

Die sozialen und materiellen Lebensverhältnisse sowie ein verbessertes Gesundheitsverhalten seien für die Lebenserwartung die wichtigsten Gesundheitsfaktoren.

KARSTEN NEUSCHWENDER

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