: Unser Kanzler ist morgens einfach nicht gut gelaunt
Sibylle Krause-Burger hat Gerhard Schröder beim Regieren über die Schulter geguckt und nicht mehr dabei gesehen, als jeder ohnehin in der Zeitung lesen kann
Man stellt sich das ja ganz simpel vor: Gerhard Schröder kommt nach Hause, sitzt mit seiner Familie am Abendbrottisch, und plötzlich sagt seine Frau Doris: „Du, Gerd, das mit dem BSE ist doch schrecklich. Und der Funke, dein Minister, tut so, als sei das bei uns kein Problem.“ – „Ist es denn eins?“, fragt Gerhard freundlich. „Na, und ob, die verfüttern noch Tiermehl“, antwortet seine Frau. „Und überhaupt: Diese ganze Massentierhaltung, die Tiertransporte. Eine einzige Quälerei. Und ich weiß nicht mehr, was ich uns noch zu essen machen soll. Es geht doch um unsere Gesundheit.“ Der Kanzler denkt nach und hat eine Idee: Er wird das Problem nächste Woche in Brüssel ansprechen. Und dass Doris sich ums Essen sorgt – da kann Bela Anda, sein Regierungssprecher, der früher bei Bild war, sicher eine gute Story lancieren.
Vor zwei Wochen in Brüssel hat der Kanzler wirklich über BSE gesprochen und vor laufenden Kameras ein totales Verbot von Tiermehl gefordert, denn: „Es geht um unsere Gesundheit.“ Ein paar Tage später präsentierte die Bild-Zeitung einen Aufmacher der besonderen Art: „Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf: Ratlos wie Millionen deutscher Frauen“ stand dort auf Seite 1. Als Überschrift in großen Lettern: „Was mache ich meiner Familie jetzt zu essen?“ Da fragt man sich schon: Wie regiert der Schröder eigentlich? Spricht der Kanzler tatsächlich mit seiner Frau am Abendbrottisch und wird dann plötzlich zum Anhänger der Bio-Landwirtschaft? Sibylle Krause-Burger hat ein Buch geschrieben, das diese Fragen beantworten könnte. Es heißt „Wie Gerhard Schröder regiert“ und soll, so der Untertitel, „Beobachtungen im Zentrum der Macht“ bieten. Sie durfte Gerhard Schröder sechs Monate „beim Regieren gewissermaßen über die Schulter schauen“, schreibt die Journalistin Krause-Burger ein wenig zu stolz in ihrem Vorwort.
Man kann es knapp machen: Die sechs Monate waren verschwendete Zeit. Es ist nicht so, dass man gar nicht erfährt, wie der Kanzler regiert – aber das, was Krause-Burger erzählt, weiß jeder, der Zeitung liest. Schröder regiert unprätentiös, Schröder mag die Menschen, weil er selbst gemocht werden will, Schröder hasst das Aktenstudium, Schröder ist ein Pragmatiker, Schröder verleugnet nicht, dass er aus kleinen Verhältnisssen kommt – von dieser Tiefe sind die Eindrücke aus dem Zentrum der Macht.
Von Gesprächen am Schröder’schen Abendbrottisch erfährt man leider nichts. Dafür aber, dass der Kanzler morgens nicht gut gelaunt ist. Das schreibt Krause-Burger gleich fünfmal auf knapp 150 Seiten. Schröder sei ein Abend- und Nachtmensch. Die Autorin scheint das irgendwie zu beeindrucken. Sie verrät, dass Schröder in Tallin einmal bis zwei Uhr in der Nacht durchgehalten hat!!! Dann gibt sie auch noch preis, dass ihr „im Angesicht dieser robusten Politikernatur“ die Augen zugefallen sind. So richtig aufgewacht scheint Krause-Burger für den Rest ihrer anstrengenden Aufgabe nicht mehr zu sein.
In diesem Buch geht es nur nett zu – Gerhard Schröder ist nett zu seinen Mitarbeitern, nett zu seinen Wählern, nett zu seiner Frau, nett zu der Autorin. Krisen? Werden gelöst. Lafontaine? Ist weg. Deformationen der Persönlichkeit durch diesen Mammutjob? Keine. Stellenweise liest sich das ganze wie eine Auftragsarbeit des Kanzleramtes. „Um Gerhard Schröder herum arbeiten tüchtige und angenehme Menschen ... Sie sind ihm Vater, Mutter, ja, eine ganze Familie zugleich. Sie bilden sein Regierungsnest, in dem er herumsaust, seine Wärmestube, in der er mal hier, mal da hereinschneit, die er duzt, die ihn zurückduzen. Sie sind seine Seelsorger, die ihm jedwede Unterstützung, Zuspruch, Informationen, aufbauende Kritik und Dienstleistungen zukommen lassen, kurz alles, was ein belasteter Politiker so braucht.“
Wer jetzt Lust bekommen hat, sich auf das tolle Amt des Bundeskanzlers zu bewerben, der schicke seine persönlichen Unterlagen samt Lebenslauf bitte umgehend an die Deutsche Verlagsanstalt in Stuttgart. Unter den Einsendern verlost Sibylle Krause-Burger einen Kanzlerkandidaten. Der darf dann gegen Gerhard Schröder und sein tolles Team antreten. Aber nicht vor zwei Uhr nachts. JENS KÖNIG
Sibylle Krause-Burger: „Wie Gerhard Schröder regiert. Beobachtungen im Zentrum der Macht“. 159 Seiten, DVA, München 2000, 32 DM
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