piwik no script img

unterwegs in den fleischfabriken rund um berlin

Schöner schlachten

Für Upton Sinclair war der Schlachthof von Chicago Inbegriff der kapitalistischen Grausamkeit. Brecht machte daraus „Die Heilige Johanna der Schlachthöfe“, ein Lehrstück über das Proletariat und nicht über Tiere. In Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“ finden nächtliche Angst- und Todesschreie der Tiere im Schlachthof an der Landsberger Allee Erwähnung. Jetzt wird das Gelände zum vornehmenWohn- und Einkaufskomplex entwickelt. Der 1993 privatisierte ehemals Volkseigene Betrieb wurde nach Hellersdorf umgesetzt. Die Firma betreibt jedoch nur noch Fleisch-Verkaufsfilialen und einen Party-Service. Auch der kommunale Westberliner Schlachthof in der Beusselstraße wurde stillgelegt. Heute befindet sich dort nur noch eine Hammelschlachterei.

Dafür entstanden im Berliner Umland private Groß-Schlachthöfe, die wie Möbelhäuser aussehen und sich „Fleischfabriken“ nennen – von Nordfleisch bei Anklam und bei Perleberg, vom Ost-West-Fleischhändler Moksel bei Cottbus und bei Dessau und ein fünfter in Britz bei Eberswalde, zu dem noch die „Fürstenberger Fleischwaren GmbH“ in Eisenhüttenstadt gehört – diese beiden Werke übernahm 1997 der „bayrische Würstchenkönig“ Thien. Brandenburg förderte sein „Engagement“, für das er gerade Konkurs anmeldete, mit 45 Millionen DM. Daneben bekam ein in Bau befindliches Fleischverarbeitungswerk in Lübbenau der Lebensmittelkette Lidl & Schwarz 17 Millionen vom Staat.

In Britz wurde bereits 1977 ein „Schlacht- und Verarbeitungskombinat“ errichtet, das die Schweine des nahen Eberswalder „Kombinats Industrielle Mast“ verarbeitete – u. a. zur berühmten „Eberswalder Wurst“. Diese DDR-Schweine-Anlage war die größte Europas. Auf dem Gelände befindet sich heute ein halb leer stehender Technologiepark. Die Schließung des Britzer Schlachthofs, wo täglich 600 Rinder und 1.500 Schweine getötet werden, würde die Fleischversorgung Berlins nur wenig tangieren. Westberlin bezieht nach wie vor viel Fleisch aus Westdeutschland, dazu kommt welches von Nordfleisch aus Mecklenburg-Vorpommern, wo jetzt schon kurzgearbeitet wird, sowie von Moksel bei Cottbus, wo wöchentlich bis zu 700 Rinder und 10.000 Schweine „verarbeitet“ werden. Diese Betriebe exportieren viel ins Ausland, zum Beispiel nach Frankreich. Dort ist jedoch wegen des BSE-Falles die Nachfrage „eingebrochen“.

Auch auf dem Berliner Markt wird neuerdings weniger Rind „abgefragt“. Doch wenn man auf den gesamten Fleischkonsum schaut, macht sich der BSE-Skandal bisher wenig bemerkbar. Wenn man den Sinngebern glauben darf, liegt das an der „totalitären Lückenlosigkeit“ unseres europäischen Speiseplans, so die FAZ, die dennoch am Horizont bereits die Errichtung von „Massenabdeckereien“ mit „Krematorien“ sieht. „Was im Rauch dieser Öfen aufgehen wird“, seien jedoch nicht „1 Million Rinder im Jahr“, sondern „viel, viel Geld“ – die Subventionen der illusionären „industriellen Ernährung“.

Das Bild vom „Rauch dieser Öfen“ stammt von Auschwitz-Überlebenden – mit dem deutschen BSE-Fall wird die „Katastrophe“ beschworen. In den Achtzigerjahren hatte Claude Lévy-Strauss bereits gemeint: „So lange wie es KZs für Wale gibt, wird es auch welche für Menschen geben.“

Aber die feuilletonistische „Katastrophen“-Keule beflügelte bisher weder den allgemeinen Trend zum Vegetarismus (im Westen), bzw. die im Osten beliebte Einrichtung „Tierschutz-Café“. Auch die militanten Tierschützer, die einst aus den Labors der Freien Universität Versuchstiere entführten, meldeten sich noch nicht zurück. In der Schorfheide musste jedoch ein Restaurantbesitzer, der Ökosteaks von Angus-Rindern anbot, die am Haus weideten und die er selber schlachtete, auf Wunsch seiner Gäste die Tiere außer Sichtweite bringen: Der gehobenen Klientel missfiel die allzu enge Verbindung zwischen dem blutigen Fleisch auf ihren Tellern und den netten Rindern vorm Fenster.

Seitdem das Adelsprivileg des täglichen Fleischkonsums für nahezu alle Bevölkerungsteile in den Industrieländern gilt, ja sogar für ihre Schoßtiere, wird die Fleischproduktion und -verarbeitung immer technisierter: von der computerisierten Großlandwirtschaft bis zum hoch arbeitsteiligen Schlachthof, wo es neuerdings – von einer Öko-Amerikanerin entwickelte – spiralförmige Todesrampen gibt, auf denen die Tiere es angeblich nicht mehr mitbekommen, wenn das jeweils vorderste getötet wird. Die alten rituellen Tiermorde wie der Stierkampf in Spanien oder die Fuchsjagd in England bestehen derweil als regionalfolkloristische Relikte fort.

In den romanischen Ländern gilt seit der Französischen Revolution zudem eine generelle Jagderlaubnis. Während die Jäger darauf bestehen, dass es moralischer ist, wenn man das Tier, das man isst, auch zuvor selber getötet hat, gehen viele Gourmets davon aus, dass ein guter Koch das Tier in der Pfanne wiederauferstehen lässt. So gesehen werden nicht nur wir bei unserer täglichen Fleischration doppelt betrogen. Auch das Masttier wird dabei quasi sinnlos vernutzt. HELMUT HÖGE

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen