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„Nicht der, den Sie suchen“

Der frühere SS-Untersturmführer Julius Viel steht in Ravensburg vor Gericht. Der heute 82-Jährige soll im April 1945 sieben KZ-Häftlinge aus Theresienstadt umgebracht haben

„Karabinergeräusch. Laden. Schuss. Dann die Tragödie, bis alle sieben weg waren.“

BERLIN taz ■ Steven Rambam ist Privatdetektiv, aus Brooklyn/New York. Einer der besten dieses Jahrhunderts, wie ihm die National Association of Investigative Specialists bescheinigt hat. Rambam ermittelt weltweit. Seine Spezialität: die Suche nach Vermissten und Kriminellen, die untergetaucht sind. Seine Passion: die Jagd nach NS-Verbrechern. „Als Jude“, sagt er, „versuche ich, ein Exempel zu statuieren. Ermordest du einen Juden, musst du damit rechnen, auch von einem Juden verfolgt zu werden.“

Vor drei Jahren erfuhr Rambam von einem Massaker an jüdischen Häftlingen in Leitmeritz, nahe Theresienstadt. Der Täter: Julius Viel, vor Kriegsende Lehrgangsleiter an der Nachrichtenschule der Waffen-SS, nach 1945 Redakteur in Stuttgart. 55 Jahre lang blieb das Verbrechen ungesühnt. Bis der Nazi-Jäger aus den USA der Stuttgarter Staatsanwaltschaft einen Besuch abstattete. Seit gestern muss sich der heute 82-jährige Viel vor dem Landgericht Ravensburg verantworten, wegen 7fachen Mordes. Einer der letzten Prozesse wegen Nazi-Verbrechen.

Im Frühjahr 1945 mussten Häftlinge des Gestapo-Gefängnisses „Kleine Festung Theresienstadt“ einen Panzergraben entlang der Elbe ausheben. In knietiefem Wasser, mit bloßen Händen. Wie viele dabei ermordet wurden, ist nicht genau bekannt. Wahrscheinlich waren es mehr als 750. Später stellten Ermittler fest, dass die Wächter „wahllos aus Langeweile“ getötet hatten. Unter den Häftlingen war der 19-jährige Offiziersanwärter Adalbert Lallier.

Lallier, heute 74 Jahre alt, ein pensionierter Universitätsprofessor, hat sich Privatdetektiv Rambam offenbart und ist nun Hauptbelastungszeuge im Prozess. Ein ehemaliger SS-Soldat klagt seinen Vorgesetzen an. „Auf einmal Karabinergeräusch. Laden. Schuss. So eine Gruppe von vielleicht sieben jüdischen Häftlingen, die abseits arbeiteten von der Masse. Fiel einer plötzlich um. Und dann die Tragödie, bis alle sieben weg waren“, erinnert sich Lallier. Schon einmal gab es ein Ermittlungsverfahren gegen Viel, im Jahre 1964. Doch der entscheidende Belastungszeuge starb vor der Aussage. Lallier selbst hat bereits 1946 einem Agenten des US-Militärgeheimdienstes über das Verbrechen berichtet. Die knappe Antwort: „Wir haben Wichtigeres zu tun, als über einige Tote nachzudenken.“ Das sieht Kurt Schrimm, Stuttgarter Oberstaatsanwalt und Leiter der Ludwigsburger Zentralstelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen, anders. 300 Zeugen ließ er vernehmen – ehemalige SS-Soldaten aus der Nachrichtenschule. Gesehen haben will keiner etwas.

Nach dem Krieg sah Viel keinen Grund, seine Identität zu verbergen. 1983 bekam der langjährige Redakteur der Stuttgarter Zeitung das Bundesverdienstkreuz – für seine publizistischen Verdienste um die Heimat und das Wandern. Im Allgäu lebte er zurückgezogen mit seiner Frau. Als Privatdetektiv Rambam ihn im vergangenen Herbst aufspürte, war Viel sichtlich geschockt. Nein, er sei „nicht der, den Sie suchen. Es muss sich um eine Verwechslung handeln.“

NICOLE MASCHLER

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