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Karlsruhe lässt Roland Koch zittern

Das Bundesverfassungsgericht verhandelt seit gestern über die Klage der hessischen CDU/FDP-Landesregierung gegen die hessischen Wahlprüfungsregeln. Wenn die Richter gegen Koch entscheiden, könnte es Neuwahlen geben

von CHRISTIAN RATH

Das Schicksal der hessischen Landesregierung unter Roland Koch (CDU) wird in Karlsruhe entschieden. Zwar mahnte Verfassungsrichter Hans-Joachim Jentsch zu Beginn der gestrigen Verhandlung: „Wir haben hier nicht die Vorgänge um die letzte hessische Landtagswahl zu bewerten“. Vielmehr gehe es nur – ganz abstrakt – um die Regeln der Wahlprüfung. Doch jeder wusste: Die hessische Landesregierung, die die Regeln angegriffen hat, tat dies nicht aus wissenschaftlichem Interesse.

Im Mittelpunkt der Verhandlung stand gestern die Frage, ob die „guten Sitten“ ein geeigneter Maßstab sind, um einen Wahlvorgang zu überprüfen. Der hessische Rechtsvertreter Gunter Widmaier bestritt dies: „Die ‚guten Sitten‘ sind ein Einfallstor für den Zeitgeist“, in seiner „Vagheit und unbestimmten Weite“ sei dieser Maßstab „der politischen Beliebigkeit“ zugänglich. Wenn die Wahlentscheidung der Bevölkerung so einfach in Frage gestellt werden könne, sei dies ein Verstoß gegen das „Demokratieprinzip“ des Grundgesetzes. „Noch nie hat Karlsruhe Bestimmungen einer Landesverfassung für grundgesetzwidrig erklärt“, betonte dagegen der von der hessischen SPD beauftragte Wahlrechtler Martin Morlock.

Auch die Verfassungsrichter wollten gestern allenfalls über eine „grundgesetzkonforme“ Auslegung der hessischen Verfassung diskutieren. Dem hessischen Wahlprüfungsgericht würden dann Vorgaben für die Auslegung des Begriffes „gute Sitten“ gemacht. Hier kommt es nun aber auf die Details an. „Der Verweis auf die ‚guten Sitten‘ ist eine Auffangvorschrift für wahlbezogene Rechtsverstöße, etwa solche des Wahl- oder Parteiengesetzes“, schlug Martin Morlock vor. Sein Opponent Gunter Widmaier will die Vorgabe dagegen enger fassen. Insbesondere Vorschriften des Parteiengesetzes hätten mit der Wahl im engeren Sinne nichts zu tun.

An diesem Unterschied hängt aber das Schicksal der Regierung Koch. Denn das Wahlprüfungsgericht hat sich bereits festgelegt: Es sieht in der Wahlkampffinanzierung mit Geldern, die wider das Parteiengesetz nicht offen deklariert wurden, einen Verstoß gegen die „guten Sitten“. Bekäme nun Widmaier Recht, könnte die Wahl nicht annulliert werden. Setzte sich dagegen Morlocks Auslegung durch, müsste die Wahl wohl aufgehoben werden. Schließlich war die illegal finanzierte CDU-Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft – bei einem Stimmenvorsprung von nur knapp 3000 Stimmen – sicher wahlentscheidend. Über die Zusammensetzung des Wahlprüfungsgerichts, an dem neben zwei Berufsrichtern auch drei Landtagsabgeordnete beteiligt sind, wurde dagegen gestern weniger heftig gestritten. Die Landesregierung hatte moniert, dass Abgeordnete hier als Richter in eigener Sache agieren. Die Entscheidung in Karlsruhe wird Anfang Februar erwartet.

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