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Kochen, koksen, kopulieren

Soundteppich aus Therapie, Talkshow, Sex und Börsen-Start-up: René Pollesch betreibt mit seiner Inszenierung von „Frau unter Einfluss“ knallharte Kapitalismuskritik im Prater

Ich inszeniere schneller. Zwei Tage nach der letzten von fünf wöchentlich neuen Folgen einer Theater-Medien-Soap für das Hamburger Schauspielhaus eine Volksbühnen-Premiere aus der Hüfte zu schießen verdient schon dreifachen Salut: René Pollesch, Gießener Theaterabsolvent, Regisseur, Dramatiker und als solcher jüngst von Tom Stromberg eingekaufter Shooting-Star, rast endlich durch die etablierten Bühnen. Nach einigen Jahren am Frankfurter TAT lief 1998 sein Film „Ich schneide schneller (soap)“ im ZDF.

Doch erst im letzten Jahr wagten progressive Intendanzen, Polleschs wild gesampelten Text-Irrsinn – von dem er lange behauptete, nur er könne ihn inszenieren – dem Stadttheater-Publikum zuzutrauen. Jetzt droht Pollesch einer dieser Hypes zu werden, an denen sich seine Stückefiguren hysterisch aufreiben, bevor sie zungenfertig in Phrasen zerlegt werden. Solange das Theater eine der Blasen im Markt bleibt, macht das aber gar nichts.

„Frau unter Einfluss“, Polleschs Beitrag für die Cineasten-Serie in den Prater-Produktionsstudios, beruft sich auf John Cassavetes’ aus der Spur geratene Frauen, variiert aber vor allem Polleschs eigene Themen und Motive. Drei Frauen ohne besondere Eigenschaften reden weder mit- noch durch- noch gegeneinander, sondern eher in einem rasanten, stichwortgebenden Dominoverfahren, rüde unterbrochen von ausfallenden Ausbrüchen wie „Scheiße!“ oder „Ihr Ficksäue!“ Sie sprechen über Sex und Arbeit, Medientechnologien, Geldgeschäfte und verlorene individuelle Weiblichkeit. Dazu greifen sie Jargonvokabeln auf, die sie neu zusammenstöpseln und mit einem Soundteppich aus Talkshow, Therapie und Börsen-Start-up unterlegen. Bis aus Gesichtern „irgendwie deregulierte soziale Dimensionen“ werden und ein Schwanz „ein Haushaltsgerät und keine verfickte Metapher“ mehr ist.

Trotzdem funktioniert diese Sprache nicht allein als Persiflage, sondern auch als blanke Wut. Zwischen Trockengras und Felsbrocken hockt eingekeilt das Publikum auf gelbem Wüstensand, im Rücken ein Marlboro-Panorama, vor der Nase ein Holzhaus aus dem Wilden Westen. Webcam und Haushalt verschränken sich nicht nur im Text, sondern auch auf der Bühne: Was im Innern der Hütte vor sich geht, sieht man auf einer Leinwand zur Rechten. Hure, Hausfrau und Stewardess schleppen Pferdesattel und Laptopkartons auf die Veranda und legen los.

Das verbale Maschinengewehrfeuer, zu dem der Regisseur seine Darstellerinnen anzuhalten pflegt, bleibt schallgedämpft. Ob die Probenzeit doch zu kurz war oder Sophie Rois, Annekathrin Bürger und Cordelia Wege sich dem Schnellsprech verweigert haben – „Frau unter Einfluss“ funktioniert auch mit angezogener Handbremse. Denn was beim Tempo fehlt, kompensiert die dreifach weibliche Präsenz, unter der Sophie Rois kakteengleich herausragt. Wo die Cowgirls zu dritt ihren Überdruss an der Reduktion auf Sex und Dienstleistung, an der Produktion von Reichtum durch flauschiges Online-Shoppen verkünden, konterkariert Rois die beharrliche Haushaltung der Frau mit einer Überdosis an Charme und Hass. Das zweijährige Gör wird kurzerhand mit geladener Knarre erzogen. Am Mittagstisch mit einer verachtungsvoll bekochten Holzfällermannschaft erspielt sie in Minutenschnelle eine ganze Biografie aus Scham, Verführung, Gift und Hohn – und ihr scheiternder Bowlingversuch, vom zwanghaft werbenden Schütteln des Haupthaars behindert, ist eine Sensation. Kochend, koksend, kopulierend durchschreiten die drei Engel unaufhaltsam Polleschs knallharte Kapitalismuskritik. Mit Komik, die niemals die Würde unter sich begräbt, und einem Ernst, der am Schluss auch den Titel erklärt: Liebe, die in lyrischer Konvention ein Fluss, also ruhig stellender Einfluss sein soll, wird mit solidarischem Grinsen zur „sexistischen Scheiße“ erklärt. Weil: Wahnsinn ist besser. EVA BEHRENDT

Nächste Vorstellungen am 14., 15. und 18. 12. im Prater, Kastanienallee 7–9

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