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Die Hongkong-Kontamination

Berliner Bär im Hello-Kitty-Style: Internationaler Kulturaustausch ist eine Serie von Missverständnissen. Aber beim „Festival of Vision“ in Hongkong war man entschlossen, diese für ein neues, offenes Verständnis von Kulturaustausch fruchtbar zu machen

von BRIGITTE WERNEBURG

Die Himalaya Foundation, Taipeh, war vertreten und das Asia Cultural Council, New York. Das Siemens Kulturprogramm, München, assistierte ebenso wie das Danish Council for Cultural Development, Kopenhagen, und die Nippon Foundation, Tokio. Dazu kamen Alliance Français, British Council und Goethe-Institut, alle Hongkong. Hier fand die zweitägige Konferenz zum Abschluss des „Festival of Vision“ statt, die all diese gewichtigen Institutionen an einen runden Tisch brachte.

Standortfaktor Kultur

Das Thema hieß „Kulturaustausch im 21. Jahrhundert“, und es ging darum, wie Kultur auf die globale Tagesordnung gesetzt werden könnte. Dass sie da nur bedingt steht, wusste niemand besser als die anwesenden lokalen Künstler, Wissenschaftler, Kulturbeauftragten. Schließlich gehört Hongkong in den illustren Reigen der Städte New York, London, Tokio und Frankfurt, die der Rede von Globalisierung erst einen Sinn geben. Diese nicht eben zahlreichen Städte definieren die ökonomische Geografie der Erde, weil sie für die Weltwirtschaft zentrale Dienstleistungen erbringen: Finanzdienstleistungen; von Kulturdienstleistungen ist nicht die Rede, auch wenn vor allem die Großereignisse der Hochkultur wahrgenommen werden und ihre Institutionen daher zunehmend als Standortfaktor gelten.

Doch um Konzerte der Wiener oder der Berliner Philharmoniker ging es auf der Konferenz nicht, obwohl es ja interessant ist, dass diese Orchester schon lange weltweit aufspielen, die Namen ihrer Heimatorte auf einer global agenda jedoch keine Rolle spielen. Nicht die Wirtschaft, sondern die politische Bürokratie macht diese Städte groß. Merkwürdigerweise sind ausgerechnet solche Städte reich an Kultur. Städte, in denen man nicht unbedingt den rechten Platz für den Slogan „learn flexibly, use flexibly“ vermutet, der die eine Seite der „Festival of Vision“-Leinentasche ziert.

Auf der anderen Seite des Merchandisingprodukts findet sich ein putziger Bär. Von ihm zu behaupten, er erinnere an den Berliner Bären, wäre kühn, obwohl er genau das tun soll. Das „Festival of Vision“ ist nämlich die praktische Umsetzung dessen, was auf seiner Abschlusskonferenz noch einmal in Grundsatzerklärungen diskutiert wurde. Im Sommer war das kulturelle Hongkong in Berlin zu Besuch gewesen, und jetzt war „Berlin in Hongkong“, wie die Zeitung verkündet, die der lustige Bär liest. Dass er der Katzenkitschfigur Hello Kitty ähnelt, hat die deutschen Partner, etwa den Direktor des Goethe-Instituts Hongkong, Jürgen Keil, befremdet. Doch Hello Kitty ist Kult in Hongkong, und wenn die chinesische Seite das Berlin-Festival visuell an diesen Kult andockte, deutete das mehr auf den hohen Stellenwert des Festivals hin als auf eine vermeintlich verniedlichende Abwertung. Aber genau das ist eben Kulturaustausch: eine Serie von Missverständnissen.

Wäre es anders, wäre dies ja schon Zeichen einer wenig wünschenswerten homogenisierten Weltkultur. In Hongkong jedenfalls gab es noch genügend Missverständnisse. Sie konnten aber – und darin liegt der Erfolg des knapp zwei Monate dauernden Kulturimports – oft genug fruchtbar gemacht werden. Dass die Berliner zum Beispiel tatsächlich entschlossen waren, nach Hongkong zu kommen, damit hatte die Hongkonger Administration offenbar nicht wirklich gerechnet. Das jedenfalls deutet Danny Young, Kodirektor des Festivals von Seiten des HK Institute of Contemporary Culture, an, als mögliche Versäumnisse in Werbung und Marketing für das „Tamar Site Festival Centre“ beklagt wurden. Viele Punkte konnten erst in letzter Minute umgesetzt werden und gehorchten dann eher dem Flexibilitätsmotto als einer lang festgelegten Planung. Letztlich sei es allein dem Einfluss von Ada Wong, einer Juristin und prominenten Figur des Hongkonger Kulturlebens, geschuldet, dass die Sache wirklich ins Rollen kam, weiß Jürgen Keil. Dann war es freilich so etwas wie ein Präzedenzfall, denn erstmals unterstützte das Innenministerium der chinesischen Sonderverwaltungszone mit 1,5 Millionen Mark eine Kulturveranstaltung, auf deren Ausgestaltung sie keinen Einfluss hatte – sieht man vom freiwilligen Rücktritt der Berliner von der Idee eines Exports der Love Parade ab, der die Behörde aus Angst vor Drogen strengste Kontrollen angedroht hatte.

Sicher kein Missverständnis hatte dagegen die rund 200 Leute bewogen, zum „Tamar Site Festival Centre“ zu kommen, um einen Vortrag über Karl Marx zu hören. Ihnen ging es dabei vielleicht auch um den Austausch mit dem so genannten Mainland China und dessen politischer Kultur. Obwohl: Lässt der Sonderstatus, den China der ehemaligen britischen Kronkolonie einräumt, Marx nicht als ziemlich historische Figur erscheinen? Offenkundig hat der Kapitalismus hier selbst über die Politik einer immer noch kommunistischen Partei gesiegt, nachdem er über deren sozialistische Wirtschaft schon lange triumphiert hatte.

Nur ein Zeichen: Praxis

Schön und surreal war das Bild, das die Veranstaltung abgab, trotzdem. So, wie die Besucher in der luftigen Bambuskonstruktion des Festival Centre saßen, die der Stararchitekt Rocco Yim dem Pavillon zur Seite gestellt hatte. Weil die Tamar Site eine große Freifläche vor den Verwaltungspalästen des Bankenviertels ist, schien diese für den Vortrag von Lo Kwai Cheung, Philosophieprofessor an der Chinese University of Hongkong, geradezu steinern Parade zu stehen. Ein einziges chinesisches Schriftzeichen hatte er auf eine Tafel gemalt: Praxis. Im Hintergrund hüpfte ein riesiger Lichter-Nikolaus auf der Fassade eines von einer Toshiba-Leuchtreklame gekrönten Bürogebäudes seil, während Lichtergirlanden den Sinn seines Treibens erhellten: „Spirit of Hongkong – Spirit of Sport“. Die Zuhörer hatten Einkaufstüten von Kokaï bei sich, und wenn die jungen Männer das Bein übers Knie legten, sah man die genähten Sohlen ihres teuren Schuhwerks.

Die Marx-Vorlesung gehörte zu einer von chinesischer Seite initiierten, sehr beliebten Vortragsreihe über große deutsche Denker, zu denen der Kurator Leung Man Tao selbstverständlich Kant, Hegel, Freud, interessanterweise aber auch Siegfried Kracauer zählte. Die deutsche Seite war der Idee gegenüber skeptisch gewesen, gestand dann aber ein, dass damit ein Publikumsbedürfnis getroffen worden war. Es ist nicht immer das, was man selbst an sich schätzt, was die anderen schätzen.

Bei den Berliner Philharmonikern ist das keine Frage. Sie waren da, ja, allerdings mit ihrem Jugendorchester. Überhaupt setzte das Festival stark auf junge Künstler. Im Bereich der bildenden Kunst war „. . . und ab die Post 2000!“, das von Johann Nowak von der Aktionsgalerie kuratierte 4. Festival junger experimenteller Kunst, eingeladen. Im Musikprogramm hatte Matthias Osterwold besonders die Berliner Elektronikszene in den Vordergrund gerückt mit Rechenzentrum, Oval, Pole oder Monolake. Die Auftritte dieser jungen Künstler waren dabei in ein anspruchsvolles Musik-, Tanz- und Kunstprogramm fester Größen der neuen Musik, des Jazz oder des Tanzes eingebunden, die auch ein Stück Geschichte der jeweiligen Kunstszene in Berlin repräsentieren, wie etwa das Ensemble Zwischentöne, David Moss oder Jo Fabian. Auch in der ifa-Ausstellung „Quobo – Kunst in Berlin 1989–1999“, die in der Galerie des HK Arts Centre noch bis in den Januar hinein zu sehen ist, versammeln die Kuratorinnen Gabriele Knapstein und Ingrid Buschmann in kluger Auswahl eine Berliner Kunstszene, unter anderem mit Maria Eichhorn, Fritz Balthaus, Anette Begerow, Ulrike Grossarth oder Adib Fricke, dessen Word Company den Titel beisteuerte.

Grünes Neonglück

Die anvisierte Love Parade war wohl als die Weiterführung der Hongkonger Workshop-Arbeit der so genannten Creative Industries mit anderen ästhetischen Mitteln gedacht. Creative Industries benannte dabei Berliner Multimedia Firmen wie Triad Berlin, Art+Com oder im Stall. Stattdessen gab es zu Festivalende ein Welt-Aids-Tag-Konzert mit den Stars des Cantopop, wie Schlager made in Hongkong genannt werden. Mal pur, mal playbackgestützt, was dann stark den Eindruck von Karaoke vermittelte, sangen die Künstler von der Liebe und ihrem Leid oder setzten den aktuellen Stand der Dinge gleich auf der Bühne in Szene wie Anthony Leung, der hier wieder mit seiner frisch von ihm getrennten Freundin zusammenfand. Zumindest für ein Lied; was das Publikum zu einem heftigeren Schwenken der grünen Neonleuchtstäbchen bewegt.

Zu Beginn des Konzertes hatte Laura Kikauka eine ziemlich schräge Modenschau gezeigt, zu der ihr kanadischer Partner Gordon Monahan mit Funny Farm Far East & Fuzzy Love die Musik machte. Sie waren für das Ende des Events noch einmal angekündigt, zusammen mit DJ Choy und den Pankakes, einer Art Hongkonger Punkrocker. Doch das ließ das Publikum kalt. Pünktlich nachdem sich die Cantopopstars zum Fotoshooting auf der Bühne versammelt hatten, strebte es brav und geschlossen dem Ausgang zu.

Aber Fuzzy Love und vor allem Gordon Monahan an der Hammondorgel bewiesen angesichts der leeren Arena Haltung. Zuerst hüpfte nur der unermüdliche Nikolaus von Toshiba zu ihrer Musik, doch dann kam ein Teil des Publikums zurück, und als dann die kleine Bibliothekarin des Goethe-Instituts als DJ Choy mit ihrer großen elektrischen Gitarre auf die Bühne kam, hob die Party wirklich ab. Etwa 200 Leute machten auch hier wieder den harten Kern aus.

Es gibt nun einige Theorien darüber, wie kultureller Austausch funktioniert. Plünderung, Appropriation, Anpassung, Akkomodation sind Stichworte. In Hongkong scheint der Begriff der Kontamination am besten zu passen. Berlin in Hongkong, das wird noch eine Weile einsickern, um in den stillen Wassern der Hongkonger Kunstszene Spuren zu hinterlassen. Und ein paar Leute innerhalb einer recht resistenten Zielgruppe haben sich offensichtlich schon jetzt angesteckt. Nur zum Schluss, als die Bühne mit glücklichen, erschöpften Festivalorganisatoren, glücklichen und sehr vitalen Hongkonger Kids, angereisten Journalisten und Musikern angefüllt war, machte der Nikolaus plötzlich schlapp. Ihm wurde einfach der Strom abgedreht.

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