: Der Markt wird siegen
HOCHSCHULEN IN DER KRISE (4): Universitäten in Deutschland und im Kosovo stehen vor dem gleichen Problem – sie müssen einen Standard erreichen, der europatauglich ist
Mit einem Tag Verspätung kommt die deutsche Presse hier im Kosovo an. Meist lese ich sie nicht, und wenn, dann ärgert mich, wie in Deutschland Themen zwischen Bürgern und Politik zu großen Problemen aufgebauscht werden. Prioritäten sagen auch etwas über die kulturelle Selbstwahrnehmung aus.
Man kann und soll Unvergleichbares nicht vergleichen, aber im Zeitalter der Globalisierung sollten Hochschulen in Europa doch etwas miteinander zu tun haben. Wie passt dann das Gejammere der Tagespresse, der Professorenlobbys, der studentischen Armutsprediger zur strahlenden Werbung um ausländische Studierende? Ist die Akademikerarbeitslosigkeit trotz der mangelhaften Ausbildung so niedrig, oder bereitet diese Ausbildung für den Markt besser vor als für eine auf Wissenschaft begründete Zukunft der Nation? Die gleichen Fragen hier, in der armen Nachkriegsgesellschaft des Kosovo: Sollen wir uns eher auf die Bildung demokratischer Eliten oder auf die Ausbildung für den Markt von morgen konzentrieren? Das eine müssen wir tun, sonst entfernt sich das Kosovo wieder von Europa, das andere bedeutet, bewusst für den Export von Qualifikation auszubilden und dafür in den Ausbau des Bildungswesens zu investieren. Beides können wir uns finanziell kaum leisten. Aber wir leisten uns eine hochschulpolitische Debatte darüber. Die ist in Deutschland unter den Ärmelschonern der Innen- und Finanzminister zerquetscht und von den Besitzstandswahrern versiegelt worden. Deshalb – und nicht weil er Recht hat – wird in Deutschland nur der Markt siegen, und zwar verdrängend, bösartig und die hehren Traditionen der Mandarinuniversität verspottend.
Hier im Kosovo gelten andere Gesetze. In einer Notstandsgesellschaft betreiben wir für 12 Millionen Mark eine Universität für 18.000 Studierende, mit sieben Außenstellen. Der Etat ist gerade mal so hoch wie der eines sozialwissenschaftlichen Fachbereichs an einer kleinen deutschen Universität. Sicher, die Löhne sind niedrig, und alles andere wird zu Weltmarktpreisen gekauft oder teurer. Trotzdem wird der Markt allein hier nicht siegen. Unter anderem weil wir ihm ohne große rhetorische Kämpfe geben, was er ohnedies verlangt: zum Beispiel „3-5-8“, drei Jahre zum Bachelor, fünf Jahre zum Magister/Diplom, acht Jahre zum Doktorat. Das wird überall in Europa so kommen, warum also nicht gleich einführen? – Viel Glück für einen neuen Sonderweg!
An die Erfüllung dieses Schemas knüpfen wir Personal- und Sachmittelausstattung. Gekämpft wird um die Qualität des Curriculums und nicht um Formen für versteinerte Ideologien. Ich lese, dass man in Deutschland den Bachelor gern umgehen möchte (in fünf Jahren direkt zum Master!) – viel Glück für einen neuen Sonderweg! Nun weiß ich so gut wie jeder andere Hochschulpolitiker, dass man gegen das 3-5-8-Schema viele sachliche Einwände erheben kann. Andere Modelle sind aber nicht besser. Wenn es für eine vernünftige und europaweit vergleichbare Abschlussmatrix sinnvoll ist, muss man es durchsetzen – nicht wegen der deutschen Wunderkinder, sondern wegen der hunderttausend Studierenden aus den armen Ländern im Osten Europas. Die brauchen die Anerkennung durch die westlichen Arbeitsmärkte, sonst bleibt alle Einwanderungspolitik immer kolonial. Sie müssen mit ihren Abschlüssen ein Recht auf eine bestimmte Arbeit innerhalb legaler Arbeitsmigration erwerben und nicht mal gerufen, mal rausgeschmissen werden.
An der Universität Priština gibt es viele Lehrende, die wie in einem Deutschen Hochschulverband argumentieren: mit Bewährtem, mit Traditionellem, mit den ganzen Emblemen der Vergangenheit. Ich fühle mich hier manchmal wie zu Hause, anders gesagt: Ich gerate in eine gewisse wohl gesetzte Rage.
Das Neue, die „Reform“, kommt erst mal über Verfahren, dann können wir ans Curriculum herangehen. Das bedeutet hier, dass wir innerhalb des nächsten Jahres den Weg zur europäischen Anerkennung von Studienabschlüssen unumkehrbar machen. Was ich an der deutschen Debatte lerne, ist die bittere Erkenntnis, dass die Verlustängste einer übersättigten Gesellschaft die Hochschule nicht mehr als öffentlich garantiertes, leistungsbewehrtes Privileg, sondern als dosierte Privatinvestition begreifen wollen, die weitgehend vom Staat geformt und als Angebot an seine Bürgerinnen und Bürger verstanden wird.
Verlustängste grenzen immer aus, führen im schlimmsten Fall genau zu diesem Rechtsruck, der ja angeblich von den Anständigen bekämpft wird. Das Gleiche hier: Wenn es die Uni nicht (mehr) schafft, für eine funktionierende Klasse zu sorgen, wird diese an der Spitze der Bajonette gebildet. Also ist Hochschulreform ein Teil der Friedenspolitik. Und zwar bevor wir angesichts von über 60 Prozent Arbeitslosigkeit dem virtuellen Markt nachlaufen und zugleich uns jedem realen verweigern.
Innerhalb von vier Monaten haben wir, mit angelsächsischen und skandinavischen Experten und unter Beteiligung der Universität, vorläufige Gesetze und Statuten geschrieben. Braucht es wirklich den Ausnahmezustand, um ordentliche Gesetze in kurzer Zeit herzustellen? Auch hier gibt es einen negativen Zusammenhang zu Deutschland: In Priština weiß jeder, was an der Universität los ist, weil sie der Ort der politischen Selbstverständigung ist. Die deutschen Hochschulgesetze sind selbst den meisten Betroffenen gleichgültig, der Bevölkerung sowieso.
Haben wir es also vielleicht sogar besser im Kosovo? Unsinn. Ich würde natürlich zur Zeit lieber in Deutschland studieren als hier, und bis diese Uni und viele in der Region aufgeholt haben werden, wird viel Zeit vergehen. Aber ich lerne hier wieder, wie kostbar, wie privilegiert Studium ist, sein muss, wie sehr die anti-elitäre deutsche Adoleszenz auf Demokratie durch Hochschulbildung verzichtet, wie im Übrigen die Vertreter von „employability“ auch daran vorbeigehen. Wer hier nicht studiert, wird im politischen Leben des künftigen, zivilen Kosovo keine Rolle spielen können.
Das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass es auch noch andere legitime Karrieren geben muss, wird erst später erfolgen können. Schließlich hat an dieser Hochschule ja auch der Widerstand gegen eine Diktatur begonnen. Womit sich der Kreis schließt: Nur studieren reicht nicht. Gut studieren und das Gelernte auch anderswo anwenden können, das ist das Gebot der Stunde. „Gut“, das ist nicht nur ein subjektiver Eindruck, das muss schon jemandem in einem anderen Land vermittelbar sein, der nicht Albanisch oder Serbisch spricht, der eine große Auswahl an Qualifikationen vor sich hat – und vielleicht im Zweifel dann auch noch den demokratischeren, zivileren Absolventen oder die aufgeklärtere und couragiertere Lehrerin einstellt. Diesen Arbeitsmarkt hat das Kosovo noch vor sich, die deutsche Hochschulpolitik aber ist offenbar schon jenseits davon.
MICHAEL DAXNER
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