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Dubioser Rücktritt

Israels Premier Ehud Barak legt überraschend sein Amt nieder. Sein Hauptkonkurrent Benjamin Netanjahu kann nicht gegen ihn antreten

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Der Gedanke an das „Wohl des Volkes“ trieb Israels Premierminister Ehud Barak dazu, am Sonntag seinen Rücktritt einzureichen. „Ich will nichts tun, was der Nation schaden könnte“, meinte Barak und erklärte, dass er das Land vor einem langwierigen Wahlprozess bewahren wolle. Der Rücktritt macht allgemeine Wahlen zum Amt des Premierministers innerhalb von 60 Tagen notwendig, das israelische Parlament bleibt dagegen unverändert. Bei den Wahlen, die Anfang Februar abgehalten werden sollen, dürfen ausschließlich Abgeordnete kandidieren. Expremierminister Benjamin Netanjahu wäre damit nicht im Rennen. Aus den Reihen des Likud kam bereits die Kritik, der Schritt des Premierministers sei „ein weiterer schmutziger Trick Baraks“.

Barak bestritt vor Journalisten die Absicht, Netanjahu zu blockieren und versprach, jede Initiative zu unterstützen, um das Wahlrecht so zu ändern, dass „jeder Staatsbürger kandidieren kann“. Mit einer absoluten Mehrheit im Parlament wäre eine derartige Änderung möglich. Allerdings müssen die Parteien ihren Kandidaten für das höchste Regierungsamt mindestens 45 Tage vor dem Wahltermin benennen, die Änderung müsste also innerhalb der kommenden zwei Wochen erfolgen – und der Likud müsste in dieser Zeit parteiinterne Vorwahlen abhalten.

Sollte das Gesetz zur Parlamentsauflösung, das in der vorvergangenen Woche in erster Lesung befürwortet wurde, auch in zweiter und dritter Lesung durchkommen, hätte dies normale Wahlen zur Folge, bei denen Premierminister und Abgeordnetenhaus bestimmt werden. Auch in diesem Fall könnte Benjamin Netanjahu gegen Barak kandidieren, wobei aber der Termin Anfang Februar bestehen bleibt, was dem Expremier erneut unlösbare Zeitprobleme verschafft. Nach Umfragen der Tageszeitung Maariw vom Wochenende führt Netanjahu derzeit mit 16 Prozent vor Barak, wohingegen Likud-Chef Scharon nur zwei Prozente vor dem amtierenden Regierungschef liegt.

Unmittelbar nach der auch für viele Politiker der Arbeitspartei überraschenden Rücktrittserklärung Baraks vermuteten politische Kommentatoren, dass Barak und Scharon ein stilles Abkommen über eine Große Koalition getroffen haben, mit dem sie sich gegenseitig die politische Zukunft nach den Wahlen garantieren. „Ich war von der Rücktrittserklärung genauso überrascht wie alle anderen“, kommentierte Scharon die Gerüchte und leugnete, dass es Absprachen zwischen ihm und Barak gebe. Seiner Meinung nach, solle „jeder Bürger das Recht haben, für das Amt des Premierministers zu kandidieren“. Im Likud werden entsprechend die Anstrengungen, die Knesset aufzulösen, fortgesetzt, erklärte Scharon.

Die zentrale Frage, was die Neuwahlen bringen können, beantwortete Barak mit: „Ein klares Mandat für den Frieden.“ Die fortgesetzte Anstrengung, einen Vertrag mit den Palästinensern zu erreichen, wird zweifellos im Mittelpunkt von Baraks Wahlkampagne stehen. Er wird vor der Gefahr einer Ausweitung der Unruhen in einen regionalen Konflikt warnen, Scharon dagegen setzt ganz auf sein Image als Kämpfer. Sein Wahlkampf wird unter der Parole geführt werden, dass nur der Likud für Ordnung sorgen kann.

Auf palästinensischer Seite wurden die Entwicklungen der israelischen Innenpolitik ohne Überraschung aufgenommen. Baraks Rücktritt sei eine „ interne israelische Angelegenheit“, meinte Palästinenserpräsident Jassir Arafat; er rechnet allerdings mit „Verzögerungen im Friedensprozess“. Kommunikationsminister Jassir Abed Rabbo sieht „nach zwei Monaten des Blutvergießens“ keinen Unterschied zwischen Ehud Barak und Ariel Scharon.

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