: Die erste Schlacht der Hausbesetzer
Vor 20 Jahren fing alles an: Die Westberliner Hausbesetzerbewegung kann heute Geburtstag feiern. Sechs Beteiligte von damals ziehen Bilanz
von PLUTONIA PLARRE
„Keine Atempause, Geschichte wird gemacht ...“ Dieser Fehlfarben-Song war Anfang der 80er-Jahre auf jeder Hausbesetzerdemonstration zu hören. Er drückte aus, was Tausende von Menschen bewegte. Die Geschichte dazu hat heute vor genau 20 Jahren begonnen. Das war die Nacht der ersten großen Kreuzberger Straßenschlacht um besetzte Häuser. Sie war die Initialzündung für einen beispiellosen Besetzerboom in Westberlin, mit dem die überfällige Wende in der Wohnungs- und Sanierungspolitik erkämpft wurde.
Über 10.000 Häuser standen damals leer, während immer mehr BerlinerInnen eine Wohnung suchten. Leer stehende Häuser wurden besetzt. Am 12. Dezember 1980, heute vor 20 Jahren, verhinderte die Polizei eine solche Besetzung am Fränkelufer 48 im Bezirk Kreuzberg und brachte damit den Stein ins Rollen. Über Telefonketten benachrichtigte Unterstützer eilten aus der ganzen Stadt an das nahe gelegene Kottbusser Tor. Als Jugendliche aus Angst vor der Räumung ihres Hauses eine kleine Barrikade errichteten, sprang der Funke über. Die Polizei griff ohne Vorwarnung zu Knüppel und Tränengas und trieb die Versammelten auseinander. Es entwickelte sich eine Straßenschlacht, die zehn Stunden andauerte. Schaufensterscheiben gingen zu Bruch, Steinhagel prasselten auf Mannschaftswagen ein, eben beseitigte Barrikaden wurden an anderer Stelle neu errichtet. Die gespenstische Szene löste sich erst in den frühen Morgenstunden auf, nicht weil die Polizei die Lage in den Griff bekam, sondern weil beide Seiten erschöpft waren.
Getragen von der Sympathie großer Teile der Bevölkerung erlebte Westberlin in den folgenden Monaten eine regelrechte Besetzungswelle. In der Hochzeit wurden 281 besetzte Häuser verzeichnet. Der marode SPD-Senat, dem für kurze Zeit Hans- Jochen Vogel als regierender Bürgermeister vorstand, hatte dem zunächst nicht viel entgegenzusetzen. Bald schon erfand man die berühmt-berüchtigte „Berliner Linie“, gegen die jedoch immer wieder verstoßen wurde: Neubesetzungen sollten sofort geräumt, bereits besetzte Häuser mit Verträgen legalisiert werden, wenn die Eigentümer dazu bereit waren. Geräumt werden sollte nur dann, wenn eine sofortige anderweitige Nutzung und die dafür erforderlichen Baumaßnahmen sichergestellt waren.
Nach dem 10. Mai 1981 aber wehte in Berlin ein anderer Wind: Die CDU gewann die Wahlen, die Alternative Liste zog erstmals ins Abgeordnetenhaus ein. Neuer Innensenator wurde ein Mann fürs Grobe: Heinrich Lummer. Er übernahm ein Erbe von 163 besetzten Häusern. Schon bald ging es hart mit Räumungen zur Sache. Die Antwort waren riesige Demonstrationen und Straßenschlachten. Kirchengemeinden, Stadtteilzentren, Gewerkschaften, Professoren und Künstler übernahmen Patenschaften für besetzte Häuser.
Die Stimmung wurde immer aufgeheizter. Am 22. September 1981 ließ Lummer acht besetzte Häuser räumen. Bei dem Polizeieinsatz im Bezirk Schöneberg wurden Demonstranten in den fließenden Verkehr getrieben. Klaus-Jürgen Rattay starb unter den Rädern eines BVG-Busses.
In zähen Verhandlungen, die immer wieder durch die bis 1984 andauernden Räumungen einzelner Häusern unterbrochen wurden, gelang es Besetzern von 77 Häusern, langfristige Nutzungsverträge zu erkämpfen. Unter den heutigen Bewohnern befinden sich noch etliche Veteranen. Die Vorstellung, nach 20 Jahren selbstverwalteten Wohnens in einer Hausgemeinschaft in ein anoymes Mietshaus umziehen zu müssen, ist für sie ein Graus. Deshalb wird wohl gekämpft werden, wenn die Verträge in absehbarer Zeit auslaufen. Wie hieß es noch so schön? „Keine Atempause ...“
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