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Truppen und Technik

Römische Winter vor 130 Jahren: Eine alte fotografische Sammlung versetzt zurück in die Ewige Stadt, bevor sie vom Verkehr erobert wurde. Die Sammlung Parker in der Kunstbibliothek Berlin

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Vierzehn Jahrhunderte lang hatte der Papst Rom beherrscht, als im September 1870 die königlich italienischen Truppen die Stadt einnahmen. Sie schlugen eine Bresche in die Aurelianische Stadtmauer. Eine historische Fotografie zeigt die niedergerissene Befestigung. Soldaten liegen auf den Wällen wie zur Verteidigung bereit; hinter ihnen stehen schon die ersten Zuschauer.

Das Bild von einem anonymen Fotografen ist der einzige Hinweis auf die politischen Auseinandersetzungen seiner Gegenwart in der Sammlung der italienischen Fotografien von John Henry Parker. Seine Liebe galt dem Mauerwerk – je älter, desto aufregender. Überall in Rom ließ der englische Altertumsforscher Befestigungen, Aquädukte und Katakomben fotografieren. Damit kam er der Umgestaltung Roms zur Hauptstadt des vereinigten Italiens zuvor. Vieles wurde neu ausgegraben, andere Denkmäler verschwanden. Rom vor dieser nationalstaatlichen Neuinterpretation belichtet zu haben, macht den dokumentarischen Wert der Sammlung Parker aus.

Doch über diesen Gebrauchswert hinaus besitzt die Sammlung einen eigenen Charme, der jetzt erstmals in einer Ausstellung der Berliner Kunstbibliothek sichtbar wird. Sie beleuchtet ein frühes Kapitel der Fotografie- und Kunstgeschichte, als private Gelehrsamkeit und die Gründung wissenschaftlicher Vereinigungen ein Mittel zum Gewinn gesellschaftlichen Prestiges waren.

Der Verleger John Henry Parker aus Oxford hatte sich schon mit Publikationen zum Mittelalter einen Namen gemacht, als ihn ein rheumatisches Fieber und eine Erbschaft 1864, mit 57 Jahren, nach Rom brachten. „Meiner Meinung nach ist Rom nichts als ein großer Kramladen. Was soll man darin anderes tun, als Kunst-, Archäologie- und Geschichtsstudien verfolgen“, schrieb Hippolyte Taine, ein anderer Rom-Besucher der Zeit. Parker stürzte sich auf die Geschichte, beauftragte Fotografen, organisierte Geld für Ausgrabungen und versuchte in einem dreizehnbändigen Werk, die Geschichte Roms neu zu schreiben. Mit Orden ausgezeichnet, blieb ihm die wissenschaftliche Anerkennung doch versagt. Dreizehn Winter verbrachte er in Rom.

So entstanden die meisten Bilder im Winter, kalte und spärlich bebaute Stadtlandschaften. Menschenleer ist der Weg, der auf die runden Türme und zinnenbewehrten Mauern der Porta Asinaria zuläuft. Reste antiker Wasserleitungen begrenzen ein karges Feld. Kapitelle liegen in einer Steinwüste. Das Kolosseum ragt hinter kahlen Bäumen auf, und die grasüberwachsenen Ränge des Tasso-Theaters werden von Bäumen gerahmt wie auf Gemälden der Romantik. Andere Bildgruppen gelten Fragmenten, die Parker, ein Feind der künstlichen Restaurierung, ungeschönt aufnehmen ließ. Die Suche nach dem Erhabenen in der Antike zeigt sich vor allem in der Aufnahme eines Torsos in den Caracalla-Thermen: Da prallen zwei Zeiträume aufeinander, der flüchtige Augenblick der Fotografie und das Dauern des Steins. Dass auch er nicht ewig ist, verdeutlichen Bruchstücke, die auf dem provisorischen Sockel des Torsos liegen.

Architektur- und kunsthistorische Motive gehörten zu den frühen Anwendungsgebieten der Fotografie, mit denen das noch junge Medium seine Nützlichkeit verteidigte. Zudem halten Skulpturen still und wackeln nicht bei langen Belichtungszeiten. Mehr als sieben Fotografen arbeiteten für Parker, ihre Handschriften sind nicht immer zu unterscheiden. Gerade die unspektakulären Abweichungen von ästhetischen Konventionen und vom standardisierten Rom-Bild machen ihre Auftragsarbeiten heute noch attraktiv.

Bis 1. 2., Kunstbibliothek am Kulturforum, Katalog: 40 DM

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