: Geheimniskrämer & Migrant
■ Eine Facette im „Bremischen Jahrbuch“: Die Geschichte der Schokoladen-Familie Hachez unter der historischen Lupe / 320 Seiten Bremer Geschichtsforschung
Druckfrisch, zwei Pfund schwer, 320 glänzende Seiten „alterungsbeständiges“ Papier zwischen roten Buchdeckeln. Doch die Tage des just im Staatsarchiv erschienenen „Bremischen Jahrbuchs 2000“ sind schon gezählt.
Das liegt vor allem an der verräterischen Jahreszahl im Titel, wie Staatsarchivar und Redakteur Dr. Konrad Elmshäuser freimütig einräumt. Dennoch hat er wie jedes Jahr den Wettlauf mit der Zeit wieder aufgenommen und die bremischen Buchhandlungen – mangels Vertrieb – mit dem im Selbstverlag erschienenen Produkt persönlich beliefert. Handkarrenweise. Auf dass BremerInnen sich selbst ein Bild machen können von den neuesten Bremer Histörchen, die 22 AutorInnen (davon nur fünf ohne akademischen Titel!) für die diesjährige 137. Ausgabe zusammengetragen haben – und zwar zuallermeist, ohne einen Groschen dafür gesehen zu haben.
So hält es die Historische Gesellschaft Bremen schon seit 1863 – wenn auch mehr aus Not denn aus Tugend. Ihre verlässlichsten AbnehmerInnen sind dabei die Mitglieder der eigenen geschichtlichen Vereinigung, die Themen wie „Bremen und die Kaiserdiplome von 1541“ oder „Seetonnen und Baken in Quellen der Bremer Handelskammer“ sicherlich eher goutieren als DurchschnittsleserInnen, denen „Das Verhältnis von Senat und NSDAP zwischen 1933 und 1939“ oder „Hachez in Bremen“ – weil vermeintlich weniger speziell – näher liegen dürfte. Dabei war der alte Hachez, Urahne der späteren Schokoladendynastie, historisch betrachtet in Bremen doch ziemlich speziell – als Einwanderer, als Katholik und vermutlich auch als Type Mensch. Auch wenn der Historiker Elmshäuser ziemlich buddeln musste, um solche Schlüsse zu erlauben. Denn vor allem war Joseph Johann Hachez wohl ein Geheimniskrämer.
Als der erste Bremer Hachez – ein mittlerweile arrivierter Händler – nämlich am 2. März 1831 in seinem Bremer Haus an der Herrlichkeit starb, wussten nicht einmal die beiden Söhne das tatsächliche Lebensalter des Vaters. Auch konnten – oder wollten – sie die Namen der Großeltern nicht nennen. Erst jetzt ergaben Recherchen, warum: dass ein gleichnamiger Hachez zwar tatsächlich in Brügge geboren worden war – als Kind von nordfranzösischen Nobodies wahrscheinlich, die es irgendwann nach Brügge verschlagen hatte, so wie es ihren Sohn, kaum 20-Jährig, später nach Bremen verschlug. Dass dieser Hachez allerdings fünf Jahre jünger war, als alle Welt bislang dachte. Für die Gründe gibt es bis heute nur Vermutungen: „Vielleicht stand dies im Zusammenhang mit den Vorgängen um seine Bewerbung um das Bremer Bürgerrecht“, so der Autor Konrad Elmshäuser.
Wäre es so, war Hachez vorausschauend. Denn wie kompliziert es für ihn werden würde, die Bremer Bürgerrechte zu erlangen, konnte der Schwiegersohn in Spe des kaiserlichen Consuls Johann Ferdinand Ertell, der in Bremen ein kleines, aber angesehenes Handelshaus führte, kaum ahnen. Zwar war bekannt, dass der Bremer Rat zugewanderten Katholiken nicht gerne zum Bürgerrecht verhalf. Wie sehr Hachez den Rat aber offenbar verärgert hatte, weil er auch noch als sebstbewusster und erfolgreicher Geschäftsmann aufgetreten war, der es während seiner Zeit in Bremen offensichtlich zu Geld gebracht hatte, lässt sich nur durch die wiederholte Zahl seiner abgelehnten Anträge erahnen – bis er sich vorerst mit dem Schutzbürgertum zufrieden geben musste. Ohne freilich auch hier auf katholischen Stolz zu verzichten und in jedem Punkt nachzugeben: So legte Hachez den obligatorischen Treueeid gegenüber dem Rat ab – allerdings nicht „auf Gott und sein heiliges Wort“, sondern bis dato einigermaßen einmalig auf „Gott und bey allen Heiligen“. Worauf er in die Firma des Schwiegervateres einstieg, die mit Nägeln, Tabak und anderem handelte. Da war es noch eine Weile hin, bis der erste Hachez-Sprössling 1858 ins Schokoladengeschäft einstieg. ede
Bremisches Jahrbuch, Band 79, erhältlich im Staatsarchiv oder im Buchhandel, 48 Mark
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