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Bruder Kreuzzug

Johannes Rau lässt auch als Bundespräsident nicht locker, Reformen für Schule und Hochschule zu fordern

BERLIN taz ■ Eigentlich schwindelt er jetzt. Bundespräsident Johannes Rau ist gerade nach seiner Meinung zu Studiengebühren befragt worden. Da gibt er der Fragerin charmant zurück: „Ich bewundere sie schon für ihre Studienfächer“ – und meint: zu Uni-Gebühren sage ich nichts, weil ich das qua Amt nicht soll. Die junge Frau, die Volkswirtschaftslehre und Mathematik studiert, braucht aber nicht lange zu warten. Dann sagt der Präsident im Senatssal der Humboldt-Universität zu Berlin, was er von Studiengebühren hält: Nichts nämlich, Rau lehnt sie ab.

Aber weil er Präsident ist, sagt er es durch die Blume. Und das heißt bei Johannes Rau: Er sagt es an anderer Stelle. Als ihn ein Student fragt, was er von den neuen Methoden der Bildungsfinanzierung denn halte, antwortet Rau: Ich bin dafür, das finanzielle Engagement für Schulen und Hochschulen „als öffentliche Aufgabe beizubehalten“. Das heißt: Der Staat soll zahlen.

Und damit es besser verstanden wird, fügt er hinzu: „Ich bin dagegen, diese Finanzierung gegen das amerikanische Modell auszutauschen.“ Höchstens die Einrichtung privat gesponserter Stiftungen, die könne er sich als Ergänzung des deutschen Modells vorstellen. Das heißt: Studiengebühren, mit denen sich in den USA Unis finanzieren, sind nicht die Sache Raus.

Dem in späten Jahren zum höchsten Amt im Staate gekommenen Rau wird gerne vorgeworfen, er rede zu pastoral. Stets hat er ein Bibelwort auf den Lippen, diesmal lautet es, auf seinen Besuch in der Uni gemünzt: „Heute hat ihn (den Bundespräsidenten) der Herr in Ihre Hände (die der Studierenden) gegeben.“ Aber dieser Mann ist nicht bloß Bruder Johannes. Er ist auf seine Art auch auf einem Kreuzzug. Denn er pflegt eine evangelische Offenheit und eine Nähe zu den Menschen, die für einen Präsidenten durchaus ungewöhnlich ist: Er gibt sich wirklich in die Hände der Studierenden der Humboldt-Uni. Rau sagt zur Einleitung einen Satz und ein Bibelzitat, dann sind die Studis dran.

Raus Kreuzzug steht auf guter Grundlage. 1995 hat er ein Bildungsgutachten über die „Zukunft der Bildung“ inspiriert, das von vielen Schulreformern wie eine Bibel gelesen wird. Aber als Präsident ist er damit auf heikler Mission – denn „alle 16 Bundesländer“, so betont er, versuchten „durch Rationalisierungen“ die Bildungsfinanzen zu straffen. Rationalisierung, das ist nicht die Begrifflichkeit Raus, sondern die seines Nachfolgers in Nordrhein-Westfalen, Clement. Rau findet daran allenfalls gut, „dass das ohne Qualitätsverlust“ stattfinden soll. Haben die Studierenden im Senatssaal bei Humboldts nach dem „Qualitätsverlust“ eine Sekunde skeptischen Innehaltens erlebt?

Vielleicht. Aber eigentlich ist Rau jetzt längst bei Klartext. Er ist für die (auch von SPD-Wissenschaftsministern) zunehmend in Gefahr gebrachte studentische Mitbestimmung in den Unis: „Ich bin gegen eine reine Professoren-Hochschule.“ Der Präsident geißelt die „faktische Politik des Aussperrens“, die das Ausländerrecht bewirkt – gerade bei Studenten und Wissenschaftlern. Und er sagt auch etwas zu dem leidigen Streit um das politische Mandat, den die Unionsjugend quer durchs Land entfacht, indem sie politische Äußerungen von Studentenvertretungen (Asten) vor Gericht zerrt. Rau rät, sich „als Asta“ zu mäßigen – sich aber „als politische Hochschulgruppe“ kräftig und laut in die Politik einzumischen.

Nun hat der Kommilitone Heinrich-August Winkler noch eine Frage. Winkler, ein Professor und Parteifreund Raus, der unaufhörlich für Studiengebühren wirbt, spricht das Thema noch mal an. Der Präsident möge sich doch zum „Gerechtigkeitsdiskurs“ äußern. Ob es nämlich gerecht sei, dass alle Steuerzahler die Uni finanzierten, nur wenige spätere Spitzenverdiener aber von ihr profitierten.

Vergessen Sie die Steuerprogression nicht, Herr Winkler, lächelt der Bundespräsident den Professor an, der sich nun wieder setzen darf. Unter die Studis.

CRISTIAN FÜLLER

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