piwik no script img

Feilschen bis zur letzten Minute

Heute soll der ostdeutsche Energiemarkt neu aufgeteilt werden. Die Entscheidung wird bestimmen, ob künftig eine vierte starke Kraft in Deutschland den Wettbewerb belebt. Diese könnte den Verbrauchern günstigere Stromtarife bescheren

„Die Veag hat zurzeit ein Liquiditäts-problem, kein wirtschaftliches.In 5, 6 Jahren sind die modernsten Braunkohle-kraftwerkeauch die wirt-schaftlichsten.“

von NICK REIMER

Sechs Jahre ist es her, dass die Stromnetze, Tagebaue, Kraftwerke der sozialistischen Kollektivwirtschaft unter den westdeutschen Großkonzernen aufgeteilt wurden. Deren Fusionen des Jahres 2000 wurden von der EU-Kartellaufsicht nur unter der Maßgabe genehmigt, dass sie ihre Beteiligung an der Vereinigten Energiewerke AG (Veag) und der Lausitzer Braunkohle AG (Laubag) verkaufen. Und zwar bis heute. Heute wird der ostdeutsche Strommarkt neu aufgeteilt.

Über 16 Mrd. Mark steckte die Veag in Modernisierung oder Neubau von Stromnetzen und der sieben Kraftwerke, darunter vier braunkohlebetriebene. Wegen der hohen Abschreibung kämpft der ostdeutsche Stromversorger mit enormen Belastungen, die mittelfristig bis auf 7 Mrd. Mark anwachsen könnten. Ohne potenten Partner droht der Veag Konkurs. Um einen solchen Partner reißen sich die Bieter?

„Die Veag hat ein Liquiditätsproblem, aber kein wirtschaftliches“, sagt aber Felix Matthes vom Ökoinstitut, der über den ostdeutschen Strommarkt promovierte. Matthes prophezeit: „In sechs bis sieben Jahren bomben die alle Konkurrenten vom Markt.“ Dann nämlich seien die modernsten Braunkohlekraftwerke der Welt abgeschrieben und damit auch die wirtschaftlichsten. Auch Justus von Widekind, Energieexperte und seit Jahren Beobachter des ostdeutschen Marktes, ist sicher: „Mit der Veag lässt sich kräftig Geld verdienen.“ Zum Verkauf steht nämlich ein Paket, das aus dem Rohstoffproduzenten Laubag und dem Regionalversorger envia besteht, der 1,2 Millionen Kunden beliefert. „Wenn die Überkapazitäten auf dem europäischen Markt abgebaut sind, wird marktwirtschaftlich der in der besten Position sein, der eine vertikal integrierte Produktionsstrecke vorweisen kann“ – vom Abbau des Energieträgers über die Kraftwerke bis hin zu den Umspannwerken und Kunden.

Ginge es nach der Politik, würde aus Veag, HEW, Laubag, envia und der Bewag eine solche Strecke unter dem Dach einer Holding gebildet – der drittgrößte deutsche Stromkonzern. „Ein solcher Konzern wäre nicht nur Produzent, sondern auch Vermarkter“, sagt die bündnisgrüne energiepolitische Sprecherin Michaele Hustedt. Das bedeute: mehr Wettbewerb und damit günstigere Stromkosten für alle Kunden. Die Verkäufer hingegen haben an einem solchen Wettbewerb kaum Interesse. Ihnen geht es darum, die Kartellauflagen zu erfüllen und trotzdem Marktanteile zu behalten. So soll etwa der Verkauf der Eon-Anteile an der Bewag über ein Tauschgeschäft zustande kommen: HEW „bezahlt“ mit seiner Beteiligungen an der schwedischen Sydkraft.

Die ostdeutsche Marktverteilung besitzt europäische Dimensionen. Zuletzt räumten Eon und RWE den spanischen Konzernen Endesa und Iberdrola den Vorzug ein. Beide fusionieren zum fünftgrößten Stromversorger der Welt und müssen sich wegen wettbewerbsrechtlicher Auflagen von bis zu 40 Prozent ihres Marktanteils in Spanien trennen. Das passt den Deutschen ganz gut: Übernehmen die Spanier per Anteilstausch die Veag, so geht den Deutschen das Geschäft nicht verloren. Man verlagert es nur auf die Iberische Halbinsel. Positiver Nebeneffekt: Weil dann jeder auf dem Markt des anderen operiert, könnte man mit einem Nichtangriffspakt lästigen Wettbewerb – und damit sinkende Strompreise – umgehen.

Allerdings werden diesen Plänen nur beschränkt Chancen eingeräumt: Die Politik hält gewichtige Trumpfkarten in der Hand. Zum einen hat die Treuhand aus dem ersten Verkaufsvertrag abgeleitete Mitspracherechte. Zum Zweiten wird im Laufe dieses Jahrzehnts die zweite Kaufrate fällig, die ähnlich hoch wie die erste ausfallen dürfte – 2,4 Milliarden Mark wurden bei der Privatisierung 1994 gezahlt. Und diese Summe – so hoffen die Verkäufer – könnte die Bundesregierung den neuen Besitzern ganz oder teilweise erlassen.

Derlei Hoffnung ist nicht unbegründet: Mit dem Verkauf soll die bislang geltende Braunkohleschutzklausel – eine Art Gebietsschutz der Veag – fallen und an ihre Stelle ein Stabilisierungspakt treten. Mit dem verpflichtet sich der neue Eigentümer, jährlich 50 Terrawattstunden Braunkohlestrom (etwa 60 Prozent des Jahresverbrauches von Ostdeutschland) zu verkaufen – und damit Arbeitsplätze zu sichern.

Gestern nun berief sich die Financial Times auf Insider: HEW und der schwedische Staatskonzern Vattenfall als Mutter machen das Rennen. Weder Eon noch RWE oder das Bundeswirtschaftsministerium wollte den Bericht bestätigen. Für den Veag-Sprecher Albrecht von Truchseß war gestern nur klar: „Die Verkaufsfrist endet um 24 Uhr. Bis dahin wird hektisch verhandelt.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen