: Einsam an der Spitze
Ob im Fußball, Eiskockey oder Basketball: Berlin hat mittlerweile Topteams in den Topsportarten zu bieten. Dennoch kommen immer weniger Zuschauer in die Arenen. Die Vereine setzen aber weiter stur auf Wachstum
von MARTIN KRAUSS
Ältere Berliner Sportfans kennen das Phänomen noch von früher. Jüngere hingegen erleben es in den Stadien und Sporthallen seit geraumer Zeit zum ersten Mal. Es heißt Zuschauerschwund. Fußballbundesligist Hertha BSC, der noch 1997/98 im Schnitt über 53.000 Zuschauer im Olympiastadion begrüßte, lag in der Hinrunde der laufenden Saison bei nur 38.395. Die 2:4-Heimpleite gegen Kaiserslautern am Dienstagabend sahen nur 28.000 Fans.
Der unverhofft in diesem Jahr wieder ganz oben mitspielende West-Eishockeyclub Capitals kalkuliert zwar nach dem Bau einer neuen Halle mit einem 10.000er-Schnitt, begrüßt aber derzeit durchschnittlich weniger als 5.000 Fans im alten Stadion an der Jafféstraße. Auch der Ost-Rivale der Capitals, die Berliner Eisbären, deren Wellblechpalast in Hohenschönhausen in der Deutschen Eishockeyliga (DEL) in den vergangenen Jahren als uneinnehmbare Festung mit guter realsozialistischer Fankultur („Alle sind wir da, bis auf Erich Honecka“) galt, meldet immer seltener, dass er ausverkauft ist.
Und Alba Berlin dominiert zwar den deutschen Basketball, begrüßt in der europäischen Suproleague aber nur knapp mehr als 4.000 Zuschauer pro Spiel. Zu Bundesligapartien kommen wesentlich weniger.
Halb volle Baustelle
Nach Antworten auf dieses Phänomen suchen die Vereine hektisch und wurden noch nicht so recht fündig. Hertha hat zwar schon eine Marktforschungsfirma beauftragt. Doch bis deren Ergebnisse vorliegen, benügt man sich mit den einfachen Antworten: Der Umbau des Olympiastadions sei schuld. „Mancher Fan entschied sich gegen eine Dauerkarte“, versucht Pressesprecher Hans-Georg Felder den Rückgang des Kaufbooms bei den ganz treuen Fans zu erklären, „weil er seinen angestammten Platz nicht mehr bekommen konnte“. Im vergangenen Jahr waren es 23.000 Dauerkartenkäufer, in diesem Jahr nur 17.000. Manager Dieter Hoeneß sieht auch kulturelle Gründe: „Wer will denn schon auf so einer Baustelle Fußball sehen. Da fehlt doch einfach das Fluidum.“ Und Trainer Röber erinnerte, als sich im September nur 12.000 Fans zum Uefa-Cupspiel gegen Zimbru Chisinau verirrt hatten, daran, dass „wir im letzten Jahr eben Galatasaray, Mailand und Chelsea zu Gast hatten“. Als aber vor zwei Wochen Inter Mailand kam, wollten das auch nur 39.000 Zuschauer sehen, obwohl trotz Baustelle 55.000 Platz hätten.
In Europa zweitklassig
Bei Alba tröstet man sich, das Zuschauerinteresse sei „zu Beginn einer Saison generell etwas niedriger“, so Manager Carsten Kerner. Ähnlich wie bei den Fußballern im Uefa-Cup gilt der Europawettbewerb der Basketballer, die Suproleague, als Wettbewerb zweiter Güte. Den Fans scheint die Europaliga, in der vor allem reichere Clubs, Spitzenbasketball anbieten wollen, attraktiver. Alba-Manager Kerner lässt das nicht gelten: „Ich weigere mich, die zwei Ligen generell als Grund für die Zuschauerentwicklung zu nehmen.“ Die Vorzeichen stünden günstig, dass es bald wieder aufwärts geht.
Ungeachtet der Sättigungstendenzen wollen die Berliner Proficlubs weiter expandieren: Hertha BSC beschloss erst jüngst, sich in eine Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) umzuwandeln und künftig verstärkt in neue Geschäftsfelder zu investieren. Dazu gehören die Stadionvermarktung und beispielsweise auch ein Fernsehengagement des Clubs.
Die Eishockeyclubs, die sich vor etlichen Jahren in die anscheinend profitträchtige DEL begaben, haben erst neulich einen Kampf mit dem Senat ausgestanden, der beide Teams im kleinen und hässlichen Wellblechpalast in Hohenschönhausen spielen lassen wollte. Jetzt soll ein vor allem von Siemens finanziertes 450-Millionen-Projekt einer Mehrzweckhalle am U-Bahnhof Paulsternstraße das Ambiente rund ums Eishockey attraktiver machen – und Fans anlocken.
Alba hat sich nach seinen nationalen Erfolgen ein modernes Management gegeben und konsequent auf die Einnahmen gehofft, die sich nicht nur aus Zuschauerzahlen ergeben. Profil sollte vor allem aus dem europäischen Vereinsbasketball und zum Teil sogar aus der Auseinandersetzung mit den übermächtigen amerikanischen NBA-Clubs geschöpft werden.
So ganz über Nacht, wie man in den Vereinsetagen glaubt, kommt die sich mit dem Zuschauerschwund ankündigende Krise nicht. Schon andere Clubs, die in den Wachstumsmarkt Berliner Sport investieren wollten, scheiterten grandios: Der letztjährige Fußballzweitligist Tennis Borussia etwa, dessen Vorstand von Champions League sprach und dessen Sponsor – so munkelt man – dreistellige Millionensummen in den Club pumpen wollte, bekam wegen fehlender finanzieller Sicherheiten keine Lizenz mehr und kickt nun – ohne Stars – drittklassig in der Regionalliga gegen den Abstieg.
Schwächelnder Donner
Berlin Thunder ist ein anderer Versuch, in Berlin erfolgreich Sport anzubieten: Im Rahmen der NFL Europa, eine Art zweite Liga des American Football, hat Deutschland drei Vereine: Düsseldorf, Frankfurt am Main und Berlin. Doch der hiesige Club, die Berlin Thunder, schwächelt sportlich und im Zuschauerzuspruch. Probleme haben auch die sporadisch in Berlin auftretenden Sportanbieter: Profiboxen, das früher in einer ausverkauften Max-Schmeling-Halle zu sehen war, findet mittlerweile selbst bei WM-Kämpfen der Klitschkos im wesentlichen kleineren Estrel-Convention Center in Neukölln statt.
Zu Ereignissen wie den Deutschen Schwimmmeisterschaften oder dem Eisschnellauf-Weltcup kommt ohnehin kaum jemand, und das in den letzten Jahren sehr erfolgreiche Sechstagerennen im Velodrom in Hohenschönhausen muss jedes Mal sehr die Werbetrommel rühren, damit die Bilanz positiv wird.
Bei Hertha will man sich gegen die Entwicklung stemmen. Manager Hoeneß spricht von einer „Offensive“, die trotz Baustelle das „Liveerlebnis Stadion stärker herausstellt“. Dazu gehört eine intensivierte Plakatwerbung und stärkere Präsenz der Spieler bei allerlei Veranstaltungen – egal ob Geldautomaten eingeweiht werden, es Autogramme in Kaufhausfilialen zu schreiben gilt oder ob die Fanclubs Weihnachten feiern. Und mit solchen Ideen sind die Fußballer im Vergleich zu den anderen Sportarten sogar richtig innovativ.
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