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die stimme der kritikBetr.: Beschwingte Bahnwelten

Haben wir nicht. Aber das besonders!

Der ICE ist ein schöner Zug. Edel sein Ambiente, hilfreich sein Personal, silbern seine Erscheinung und schnell sein Wesen. Der ICE hat einen „besonderen Fahrpreis“, was ein marketingtechnisch raffinierter Begriff ist, weil er nämlich viele abschreckt und man deshalb manchmal sogar einen Sitzplatz bekommt.

Der IC ist auch ein Zug. Manche sagen: der größte ratternde Schrott, der in Deutschland Zuschlag kostet. In Wahrheit ist der IC eine große Schule des Alltagslebens. Man kann zum Beispiel die IC-Spezies „Theodor Storm“ wählen. Täglich von Karlsruhe bis nach Westerland. Was sehr weit ist. Weshalb Gewicht gespart werden muss. Etwa das von diesem modernen bedruckten Papier.

Den Reisenden, aus fernem Lande kommend, überkommt gleich hinter Frankfurt-Flughafen die Leselust. Sicher, da gibt es das herumbaumelnde Bahnmagazin. Hochglanzig, textranzig. Doch da hat er den Wunsch nach einer schönen frischen Tageszeitung. Nachfrage im Bordrestaurant, dem Kommunikationszentrum der Bahn. „Zeitung? Ham wer nich. Gibt’s nur im ICE.“

Warum? „Das wird uns nicht angeboten.“ Bitte, der Reisende möchte es doch angeboten bekommen. Von Ihnen! Umsatz winkt und Rettungsgelder, Bahn muss doch sein und bleiben! Doch statt Zeitung gibt es Trost: „Nee, wissen Se, Zigaretten ham wer ja auch nich.“

Damit ist Lernstufe 1 erreicht: Nostalgie, Landeskunde. So war es doch in der DDR, damals: „Haben Sie keine Wurst?“ – „Nein, keine Wurst gibt’s gegenüber.“ Selig noch erinnerungsschwelgend, will man fast eine Debatte lostreten, was das Service-Zukunfts-Unternehmen sonst noch alles nicht hat. Da schaltet sich die querende Zugchefin Frau Eckert energisch ein. „Wenn man das mal anfängt mit solchen Sonderwünschen, dann will doch jeder was anderes.“

Wo kämen wir da hin! Bis Westerland niemals. Lernstufe 2 bis dahin: deutsches Wesen; Sinn und Unsinn. Der Blick schweift meditierend über die vernebelte Dezember-Loreley. Zeitung lesen? Wie banal: lieber sitzen und sinnen. Nichts tun. Was sind schon politische News, Fußballergebnisse, Börsenkurse? Blendwerk des Moments. Ersatzweise kann man auch das IC-Zugbegleitdruckwerk „Ihr Fahrplan“ studieren. Da steht: „Theodor Storm, deutscher Erzähler. Mischte realistische und musikalisch-lyrische Elemente.“ So ist das. Schöne beschwingte Bahnwelt.

BERND MÜLLENDER

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